Furchtbare Karrieren

Symbolischer Akt Der ehemalige NS-Marinerichter und Ministerpräsident Hans Filbinger soll die Bundesversammlung eröffnen

Beschädigung des Amtes" gehörte in den vergangenen Monaten zum Standardvokabular, wenn das Parteien-Gezerre um die Nominierung des neuen Bundespräsidenten respektive der neuen Bundespräsidentin gegeißelt werden sollte. Es scheint, als ob es die politische Elite der Republik darauf abgesehen habe, einmal mehr an der "Würde des Amtes" zu kratzen. Denn wie immer man zu den Kandidaten Horst Köhler und Gesine Schwan stehen mag, eines haben beide nicht verdient: Dass die sie wählende Bundesversammlung vom ältesten Mitglied, dem 90-jährigen Professor Dr. Hans Filbinger, eröffnet wird. Die baden-württembergische CDU, die Filbinger als Wahlmann benannt hat, verhindert damit, dass der um ein Jahr jüngere Professor Hans Lauter, 1936 vom "Volksgericht" Roland Freisslers wegen Widerstand gegen das NS-Regime zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, diese Funktion übernimmt. Er wurde von der sächsischen PDS nominiert.

Hans Filbinger, Jüngeren nicht einmal mehr dem Namen nach bekannt, verkörpert zwei ungute Traditionen in dieser Republik: Er gehört zu den aus dem Nationalsozialismus herübergeretteten Politikern, Wissenschaftlern, Ärzten und Juristen, die um ihrer Karriere willen der politischen Amnesie verfielen und jahrzehntelang ihre Rolle im nationalsozialistischen Staat beschönigten. Der ehemalige NS-Marinerichter, der, so auch neuere historische Untersuchungen, an mehreren Todesurteilen gegen Deserteure mitgewirkt hatte, verdunkelte nicht nur das Bild von der "sauberen" Wehrmacht, sondern er verweigerte sich auch - und das wurde ihm als Ministerpräsident zum Stolperstein - den eingeforderten Bußritualen. So unnachsichtig er als baden-württembergischer Innenminister und Ministerpräsident "Radikale" aus dem Öffentlichen Dienst verbannte oder Kernkraftgegner von aufgepeitschten Hundestaffeln verfolgen ließ, so uneinsichtig war er im Hinblick auf das von ihm verantwortete Unrecht.

Der bestens alimentiert im Freiburger Nobelviertel Günterstal lebende Mann, der seit seinem Rücktritt 1978 verbissen um seine Rehabilitation kämpft, ist ein Stachel im Fleisch der bußsüchtigen und ritualerprobten Republik. Als er vergangenes Jahr zu seinem 90. Geburtstag in Freiburg mit einem vom grünen Oberbürgermeister Salomon ausgerichteten Sektempfang geehrt werden sollte, sagte der DGB-Vorsitzende seine Teilnahme ab. Einen Monat später erhoben sich im bürgerlichen Karlsruhe heftige Proteste, als ausgerechnet Hans Filbinger zum Thema Menschenrechte in Europa referieren sollte. Das 1979 von Filbinger initiierte Studienzentrum Weikersheim gilt als rechte Denkfabrik. Einzig Erwin Teufel (CDU) huldigt seinem Vorvorgänger im Amt, er habe erfolgreich "gegen die Umsturzpläne der 68er Bewegung angekämpft" und "dem Zeitgeist", der Einführung der Gesamtschule, "widerstanden".

Man könnte Filbingers Nominierung für die Bundesversammlung als nachgetragene, parteiopportunistisch motivierte Ehrung abtun, passte sie nicht so gut in die politische Schlussstrich-Mentalität der vergangenen Jahre und der damit verbundenen Relativierung der deutschen Geschichte. Im Lichte "historisierender" Erledigung verschwimmt die einstige Skandal-Formel Filbingers "Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein" in ein epochetypisches unspezifisches Unrecht, das gleichermaßen Holocaust und Todesurteile, die Verfolgung und Vertreibung aller hervorgebracht habe. Weshalb also sollte es einem ehemaligen Zuchthaus-Häftling wehtun, neben einem ehemaligen NS-Marinerichter als Wahlmann zu fungieren?

Doch über die persönliche Kränkung hinaus, die es für Hans Lauter bedeuten mag, sich von einem "Ältesten" Hans Filbinger verdrängen zu lassen, ist der Fall symptomatisch. Die Nobilitierung Hans Filbingers ist ein politischer Akt; ebenso symbolisch wie der verweigerte Applaus, mit dem die CDU-Abgeordneten den Alterspräsidenten des 13. Deutschen Bundestags, Stefan Heym, schmähten.


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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