Liebe Gerburg,
die Zeit der Hexen ist vorbei, dachte ich, als heute im Berliner Westen die Sonne glutrot unterging und einen fahlen Schein über dein Grab schickte. Das hätte dir gefallen, die du vor langer Zeit noch mit rot-wehender Mähne loszogst mit der Spindel unserer Ahninnen in der Hand, um deren Faden weiterzuspinnen.
Nun gehörst du selbst zu denen, die darauf hoffen müssen, dass die „Spindel der Notwendigkeit“, wie du es imUntertitel deines ersten Buches nanntest, aufgenommen und weiter getragen wird.Ich weiß nicht, wo überall sie ihre Produktivität entfaltet – und vielleicht sind die neuen Medien, mit denen du immer ein wenig über Kreuz standest, wenn dir ein Text nicht rechtzeitig gelingen wollte, ja eine Möglichkeit, das herauszufinden. Kleine, rührende Erinnerungen dessen liegen auf deinem Grab, aber ich bin sicher, dass der Faden nicht gerissen ist und der Stoff sich weit fortgewebt hat.
Ich stelle mir vor, wie du heute diese Welt sehen würdest, die nicht von Hexen, sondern von despektierlich so genannten politischen „Muttis“ dominiert wird. Ich stelle mir vor, wie du darauf dringen würdest, dass noch immer nicht die Zeit der Aktion, sondern die des Nachdenkens angesagt sei. Und ich stelle mir vor –aber da streikt schon meine Phantasie – wie du durch das Dachgeschoss am Hegelplatz stürmen würdest.
Dieser Tage wärest du 70 Jahre alt geworden; vor genau drei Jahren mussten wir dich beerdigen. Lieber denke ich an die Feste und intellektuellen Feiern mit dir zurück; und gerade an die, die impulsiv und konfrontativ waren.
Dies ist ein medialer Versuch, herauszufinden, wo überall die Spindel angetrieben wird und eine Aufforderung, dies mitzuteilen.
Dafür schreibe ich sogar einen Blog.
Prof. Dr. Gerburg Treusch-Dieter war von 1992 bis 2006 Mitherausgeberin der Wochenzeitung „Freitag“.
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