Gerülpst

Linksbündig Westdeutsche Bierzelte und ostdeutsche Wahlurnen - Szenen einer Ehe

Männer und Frauen passen nicht zusammen, das wusste man schon; und auch Ost- und Westdeutsche, so jedenfalls liest es sich landauf, landab, bleiben sich nach 15-jähriger Bindung und manchen Turbulenzen "kulturell fremd". Da macht sich dann, wie in einer alten Ehe, schon mal "der Frust" Luft: Dass der Bräutigam sein Versprechen, die ostdeutschen Äcker erblühen zu lassen, nicht eingelöst hat ebenso wie dass die in die Jahre gekommene Braut sich angelegentlich nach einem Liebhaber umsieht, statt ihrem Erlöser ewige Dankbarkeit zu zollen für seinen selbstlosen Einsatz auf den brachen Äckern. Und weil man aus dieser Ehe nicht einfach aussteigen kann, sondern unabsehbar darin gefangen bleibt, fällt man wie alte Eheleute in stillen Groll, der - soweit es sich um den männlichen Part handelt - vor zustimmungspflichtigem Publikum in den Hinterzimmern und Kaschemmen freigerülpst wird.

Das derzeit aufgestellte Stück "Die frustrierte Alte" - um noch einen Augenblick im Bild zu bleiben - ist keineswegs neu, schriftstellernde Arztgattinnen haben es schon uraufgeführt, als der Ehemann noch guten Glaubens war, den Lebensbund für die Union geschlossen zu haben. Doch seitdem sich der heimgeführte Teil immer deutlicher als "nicht bindungstreu" (so Analysten) erweist und politisch "vagabundiert", muss der Gehörnte sich doch an den Kopf fassen und an der Zurechnungsfähigkeit der alten Liebe zweifeln. Zuerst Nacktbader am Strand, dann Babyleichen im Blumentopf und zu guter Letzt Nutten an der Wahlurne - so kommt´s, wenn man den Mob nicht unter Kuratel im bayrischen Bierzelt stellt.

Zum Enttäuschungsbild gehört natürlich auch die beleidigte Reaktion, die Abgrenzung und das Entschuldungsritual. Beleidigt und missverstanden, beeilt sich "die Frustrierte" zu beteuern, gar nicht "frustriert" zu sein. Und fordert billige Entschuldigung. Kollektivbeleidigung fordert sogar Kollektiventschuldigung: Der bayrische Ministerpräsident und sein rhetorischer Anhang sollen sich bei "den Ostdeutschen" entschuldigen, fordert das "Forum Ost" der SPD. Der brandenburgische Innenminister Schönbohm hat das öffentliche Mea Culpa bereits absolviert. Stoiber dagegen ist zum Maxima Culpa nicht bereit: Sein Rülpser war programmatisch und die Übergärung auf die Bayern gerichtet.

Bleibt die Phalanx der Profiteure, die sich an der Ost-West-Kiste wärmen. Entrüstung allenthalben: Geschmacklosigkeit, Spaltung, gar süddeutscher Separatismus. Statt sich in "die" Ostdeutschen "einzufühlen" und auf die Belange der neuen Länder einzugehen, werde "die Kluft" verbreitert. Von irgendwoher dann der Vorschlag, man solle "lieber miteinander reden". Womit das Ehedrama zwar nicht aus der Welt geschafft ist, aber in diesem Text erledigt sein soll.

Der Vergleich ist aber nicht, wie es scheinen mag, psychologisch motiviert, sondern strukturell. Es lebt sich ja durchaus bequem mit den Gattungs- respektive Kollektivurteilen. "Männer/Frauen sind ..." funktioniert, trotz aller feministischen Umerziehungsmaßnahmen, nach wie vor so gut wie sein Pendant "Ost/Westdeutsche sind ...". Sie folgen einer Logik der (wertenden) Unterscheidung. Die aufgerufenen Ordnungsmuster sind offenbar (immer noch) so anschlussfähig, dass sie nach wie vor Entrüstung, Abgrenzung, kurz: moralische Differenz mobilisieren. Das politische Feld justiert sich um eine eigentlich leere "Substanz" - denn wer wird ernsthaft behaupten, dass "die Ostdeutschen" allesamt frustriert und politische Idioten sind? Doch die Forderung, Stoiber möge sich bei "den Ostdeutschen" entschuldigen, erkennt eine Unterscheidung an, die sie in gleichem Atemzug negiert. Das immerhin ist ein Paradox.

Davon abgesehen, muss man Stoiber und Co. auch dankbar sein. Seine rhetorischen Flatulenzen zielen auf ein Ressentiment, dem mit bloßer political correctness nicht beizukommen ist. Der kaum gezügelte Hass eines Jörg Schönbohms auf die nivellierenden Effekte der DDR-Gesellschaft, der Frust eines bayrischen Ministerpräsidenten, von der Gunst der ehemaligen DDR-Bürger abhängig zu sein, spricht aus, was sich in der Gesellschaft seit der Wende materiell vollzieht: Die Abwendung der "Elite" von der "Masse", die Abkehr vom Prinzip der Gleichheit, die unverhüllte Bereicherung der Wenigen auf Kosten aller und die Verachtung der Armen. Handfeste Unterscheidungsakte, auch wenn sich der Rauch aus Bayern längst verzogen hat.


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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