Dass Vitamin C Erkältungen vorbeugt, weiß jedes Kind, das im Winter tagtäglich seine Orange verabreicht bekommt. Und wenn es einen dann doch erwischt hat, soll man viel trinken. Alles Quatsch! Was uns da tagtäglich untergejubelt wird, als überliefertes Hausmittel oder in der Fernsehreklame, muss nicht unbedingt hilfreich sein. Besser gesagt, es gibt keinen hinreichenden Beweis dafür, neudeutsch: keine Evidenz. Behauptet jedenfalls das offizielle Internetportal gesundheitsinformation.de, das Gesundheitsministerin Ulla Schmidt vergangene Woche in Berlin frei geschaltet hat. Dort sollen die Bundesbürger nachlesen können, was es über die moderne Medizin zu wissen gibt: Zum Beispiel, dass Vitamin C als Erkältungskiller ein Mythos ist und die Entscheidung für vegetarische Kost nicht davor schützt, an Darmkrebs zu erkranken. Beides lässt sich spielerisch - "interaktiv" - in einem angebotenen Quiz lernen. Denn der Service, den das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) anbietet, wartet nicht nur mit trockenem Lexikonwissen auf, sondern auch mit Merkblättern, Specials, Checks-ups, Erfahrungsberichten oder kleinen Filmen, zum Beispiel über die hormonellen Veränderungen in den Wechseljahren.
Qualitätsstandards definieren ...
Ist so etwas überhaupt notwendig, angesichts des unübersehbaren medizinischen Angebots im Internet? Unbedingt, sagt Peter Sawicki, Leiter des Instituts, gerade, weil zuverlässige Informationen schwer zu bekommen seien und die Seriosität der jeweiligen Portale für den Patienten nicht einzuschätzen ist. Stecken wirtschaftliche Interessen der Pharmaindustrie dahinter? Oder gar geschäftstüchtige Scharlatane? Wollen medizinische Fachgesellschaften nur eine bestimmte Therapie durchsetzen? Oder Patientengruppen ihr Süppchen kochen? Nicht bei uns, behauptet das IQWiG, das damit wirbt, nur "unabhängige, objektive und geprüfte" Informationen weiterzugeben, auf dem gesicherten Stand des aktuellen medizinischen Wissens.
"Evidenzbasierte Medizin" nennt sich das heutzutage. Verantwortlich dafür zeichnen Sawicki und die rund 60 Mitarbeiter des Instituts. Als Aushängeschild der Gesundheitsministerin und "Wundpflaster" für die schmerzhafte Gesundheitsreform wurde es 2003 gegründet, um, wie es damals im trockenen Fachjargon hieß, "auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse" die notwendigen "Qualitätsstandards" zu definieren. Transparenz und Qualität für die Patienten, Wirtschaftlichkeit für die Kassen: Diesen Spagat hat die seit Oktober 2004 arbeitende Einrichtung zu leisten. Die Vielfalt der Aufgaben - von der Bewertung von Arzneimittel über die Erarbeitung von Behandlungsleitlinien für die großen Volkskrankheiten bis hin zur gezielten Informationsversorgung der Bevölkerung - war schon im Vorfeld der Gesundheitsreform ein Zankapfel. Hier würde, so der um die Therapiefreiheit besorgte Ärztepräsident Hoppe, "staatlich verordnete Medizin" auf den Weg gebracht.
Trotz dieser Frontstellung stand das unter dem zungenbrecherischen Kürzel firmierende IQWiG bislang eher im Windschatten der Gesundheitsdebatte. Zwar ist Sawicki bekannt für seinen eher unnachsichtigen Umgang mit der Pharmaindustrie, und er verzichtet, wenn er öffentlich gegen gefälschte Studien oder unterdrückte Daten polemisiert, auch schon mal auf den üblichen Wissenschaftsgestus. Aber bislang operiert das Institut noch eher im Hintergrund und ist in erster Linie damit befasst, Nutzen und Kosten bestimmter Medikamente oder Therapien gegeneinander abzuwägen und Empfehlungen auszusprechen.
Für die Unabhängigkeit des Instituts spricht, dass es finanziell nicht am Tropf des Bundeshaushalts hängt und auch keine Drittmittel bei der Pharmaindustrie oder anderswo einwerben muss. Der Etat von elf Millionen Euro (2006) wird im Umlageverfahren durch die GKV finanziert und ist in einem Stiftungsmodell abgesichert. Doch ein Großteil der Aufträge erteilt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der darüber entscheidet, was in den Erstattungskatalog der Krankenkassen aufgenommen wird oder dort verbleibt. Im G-BA sitzen Vertreter der Ärzte, Kassen und Krankenhäuser, mittlerweile auch von Patientenverbänden. Die Aufträge des G-BA beinhalten - zumindest unterschwellig - auch, die Kosten respektive die Kassenbeiträge zu senken. "Wir können das heutige Niveau der medizinischen Versorgung", sagte Ulla Schmidt beim Launch von gesundheitsinformation.de, "so nicht weiter finanzieren". Sie rechne damit, dass bestimmte Therapien aus dem Katalog herausgenommen werden. So drastisch hatte es die Gesundheitsministerin noch nie formuliert.
Ulla Schmidt setzt auf den "informierten", verantwortungsvollen und deshalb wirtschaftlich handelnden Patienten. Wo immer sie auftritt, werden Prävention und Eigenverantwortung als Begriffssignale aufgerufen. Nimmt der Patient ihre Aufforderung ernst und zieht zum Beispiel gesundheitsinformatio.de zu Rate, kann er allerdings ins Schlingern kommen. Denn die "Entscheidungshilfen" beispielsweise lesen sich wie die Nadelkurven einer Bobabfahrt. Woher soll eine Frau, die in den Wechseljahren entscheiden muss, ob sie Hormone nimmt, wissen, ob ihr Herzinfarktrisiko höher ist als die Thrombosegefahr? Wie sind die einzelnen Risiken subjektiv überhaupt zu quantifizieren? Einmal gestorben ist eben nicht keinmal gestorben, auch wenn das Risiko statistisch harmlos erscheint.
Dass das Gesundheitsportal ohne konkrete Diagnose keine Handlungsempfehlung geben darf, versteht sich von selbst; auch ist die Plattform noch im Aufbau begriffen und weist etliche, im Laufe der Zeit zu schließende Lücken auf. Aber am Ende bleiben die Nutzer doch wieder alleine zurück. Wer wird schon die Literaturhinweise nachrecherchieren? Wer hat die Zeit und Kompetenz, die einschlägigen Daten zu sammeln? Dies wäre aber nötig, weil die Datenlage häufig so uneindeutig ist, dass sich die Autoren - wie im Falle der alternativen Medizin, wo es wenig zahlungskräftige Auftraggeber für einschlägige Studien gibt - vorsichtig auf unbestimmte Aussagen zurückziehen. Die "sprechende Medizin", lehrt gesundheitsinformation.de einmal mehr, ist auch durch die bestgeprüfte Internetplattform nicht zu ersetzen.
... und wirtschaftlich umsetzen
Es geht allerdings um viel mehr als Gesundheitsinformation: Das Institut erfüllt normierende Aufgaben, die im Spannungsfeld wirtschaftlicher Erwägungen liegen. Momentan gibt es einen Streit um die Diabetes-Therapie mit einem neueren Insulin-Präparat, das Blutzuckerwertschwankungen ausgleichen und Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall verringern soll. Das IQWiG hat dem Bundesausschuss empfohlen, neue Patienten nicht mehr auf dieses geringfügig teurere Medikament einzustellen, weil sein "Nutzen nicht belegt" sei, so Sawicki in einem Interview mit dem Bayerischen Fernsehen. Die Autoren des Beitrags verweisen ihrerseits auf eine gegenteilig urteilende Studie, an der Sawicki als Diabetes-Experte selbst mitgearbeitet hat - vor seiner Tätigkeit am IQWiG.
Ob dieses Beispiel ein Präzedenzfall für die anlaufende "Gesundheitsrationierung" ist, sei einmal dahingestellt. Aber es wirft ein Licht auf die Frage, wie unabhängig und objektiv eine Einrichtung prüfen kann, die den Auftrag hat, auf Wirtschaftlichkeit zu achten. Kurz nach seiner Amtsübernahme hatte Sawicki noch auf die Nachfolgekosten verwiesen, wenn ein neues, unter Umständen teures Medikament nicht mehr verordnet wird und auch nicht-medizinische Aspekte geltend gemacht. Nun ist zu befürchten, dass er Zugross im Gespann der Sparer wird.
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