Gesündere Landschaften

Reform In den ostdeutschen Bundesländern stehen Kliniken finanziell deutlich besser da als im Westen. Taugt der Osten als Vorbild?
Ausgabe 27/2014
Überlässt man es den Selbstheilungskräften des Markts, bricht das System zusammen
Überlässt man es den Selbstheilungskräften des Markts, bricht das System zusammen

Abbildung: der Freitag

Wenn es nach dem Willen einiger Gesundheitsökonomen ginge, wäre den angeschlagenen deutschen Krankenhäusern schnell geholfen. Der nicht ganz ernst gemeinte Vorschlag der Experten: Man solle doch einfach einen Pensionsfonds für abgewählte Landräte einrichten. Schließlich seien bei der notwendigen Flächenbereinigung der Kliniklandschaft häufig die größten Bremsklötze eben jene Kommunalpolitiker, die – aus Tradition, aus Prestigegründen oder einfach, weil sie wiedergewählt werden wollen – auch solche Einrichtungen am Leben halten, die defizitär arbeiten oder für die schlichtweg kein Bedarf besteht. Die fälligen Pensionen jedenfalls kämen die Kommunen deutlich günstiger als der Weiterbetrieb der Kliniken.

Weniger spaßig wurde es jedoch, als die Autoren des Krankenhaus Rating Reports, der regelmäßig auf dem Hauptstadtkongress Gesundheit und Medizin vorgestellt wird, ihren jüngsten (auf der Analyse von rund 1000 Einrichtungen basierenden) Bericht öffentlich machten. Denn der Bericht stellt den deutschen Krankenhäusern ein alarmierendes Zeugnis aus: Die wirtschaftliche Lage der deutschen Krankenhäuser habe sich seit 2012 noch einmal spürbar verschlechtert, in bestimmten Regionen schreibe jedes zweite Haus rote Zahlen, bis 2020 könnten 13 Prozent der 2017 deutschen Krankenhäuser in die Insolvenz gehen. In den Flächenstaaten Niedersachsen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern kämen nach dem Szenario der Gesundheitsexperten also eine ganze Reihe von Landräten auf die Pensionsliste. Denn „je reicher die Kommune, desto unwirtschaftlicher das Krankenhaus“.

Private Erfolge

Der Investitionsstau beläuft sich derzeit auf 15 Milliarden Euro, jährlich müssten 5,4 Milliarden Euro aufbracht werden, um den aktuellen Investitionsbedarf zu decken. Insgesamt, war in den Kongressfluren zu hören, könne man ohne Not auf 300 bis 400 Krankenhäuser verzichten. Das war in etwa die Zielmarke, die der ehemalige gesundheitspolitische Sprecher der SPD, Karl Lauterbach, kurz nach der Bundestagswahl in Umlauf gebracht hatte. Sein Job ging dann an seine Parteikollegin Hilde Mattheis.

Überraschenderweise steht die Kliniklandschaft im Osten erheblich besser da als im Westen, was auch an den dort stark vertretenen privaten Trägern liegt. Denn gegenüber den freigemeinnützigen und mehr noch den öffentlich-rechtlich verwalteten Einrichtungen (insbesondere, wenn sie wenig spezialisiert und in Ketten zusammengefasst sind) wirtschaften Privatkliniken auf den ersten Blick erfolgreicher.

Harald Terpe, gesundheitspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, der in Mecklenburg-Vorpommern die Gesundschrumpfung der Krankenhauslandschaft erlebt hat, kennt die Hintergründe des ostdeutschen Wegs: In der Wendezeit habe sich relativ rasch herausgestellt, dass die ostdeutschen Krankenhäuser einen Nachholbedarf bei den Investitionen hatten. Im Einigungsvertrag wurde festgelegt, dass die Zahl der Krankenhäuser an den Bedarf angepasst und die verbleibenden Einrichtungen finanzkräftig modernisiert werden sollten. „Ein wichtiges Stichwort war damals noch die Anzahl der Betten, denn vor der Einführung der Fallpauschalen war das ausschlaggebend für die Refinanzierung“, erinnert sich Terpe. Damals sei den Krankenkassen die Möglichkeit gegeben worden, bei der Bedarfsplanung mitzureden. „Dabei hat sich ein kooperatives Miteinander zwischen Ländern und Kassen herausgebildet, das bis heute die Versorgungsplanung bestimmt.“

Ein ähnliches Modell wünscht sich Terpe auch im Westen. Wenn die Krankenkassen den Investitionsstau mitschultern, meint er, sollten sie auch ein Mitspracherecht dabei haben, wohin die Mittel fließen. Denn ausreichend finanzierte Einrichtungen, das ist ein weiteres Ergebnis des Reports, bieten auch mehr Qualität, chronisch unterfinanzierte hingegen müssen beim Personal und der Ausstattung sparen.

Ist der ostdeutsche Weg der Flurbereinigung der Kliniklandschaft also ein Vorbild für den Westen? Oder ist das im Osten kaputtgesparte Gesundheitssystem, insbesondere in der Fläche und bevölkerungsarmen Landstrichen, nicht eher ein Damoklesschwert über den Patienten in Niedersachsen oder Bayern, die mit Recht fordern, wohnortnah in einem Krankenhaus versorgt zu werden?

Hier könnten ein paar Zahlen hilfreich sein: Zwischen 1991 bis 2012 wurde nach Angaben des Sachverständigenrats der Bundesregierung ein Viertel aller Krankenhausbetten abgebaut; das ärztliche Klinikpersonal nahm um die Hälfte zu, das pflegerische um elf Prozent ab, insgesamt arbeiten Krankenhäuser mit über vier Prozent weniger Manpower. Die Zahl der vorgehaltenen Krankenhausbetten schwankt zwischen 538 und 788 pro 100.000 Einwohner. Nordrhein-Westfalen, Hessen und das Saarland weisen die höchste Krankenhausdichte auf, sind also am wohnortnächsten, während die Wege zur stationären Versorgung in den neuen Bundesländern häufig weit sind. Sachsen immerhin, sagte der Chef des Uniklinikums Dresden, Michael Albrecht, auf dem Kongress, verfüge gemessen an der Einwohnerzahl über etwas mehr als die Hälfte der Krankenhäuser wie Nordrhein-Westfalen. Für ihn kein signifikanter Gesundheitsnotstand.

Das sieht Harald Terpe ähnlich: „Wahrscheinlich steckt in den neuen Ländern derzeit zu wenig Geld im Krankenhaus. Aber es gibt keine Belege dafür, von einer schlechteren Qualität auszugehen.“ Die verbreiteten Haustarifverträge in den Privateinrichtungen führten allerdings zu einem niedrigeren Einkommen der Beschäftigten. „Das verstärkt den eklatanten Fachkräftemangel.“ Benachteiligt sei der Osten außerdem durch den im Vergleich zum Südwesten niedrigeren Landesbasisfallwert im Rahmen des DRG-Systems.

Um dem dramatischen Substanzabbau im Krankenhaussektor entgegenzuwirken, plädieren die Autoren des Rating-Reports unter anderem für einen auf Bundesebene angesiedelten Investitionsfonds, der entweder aus der Krankenversicherung oder aus Steuermitteln gefüllt werden müsse. Terpe gibt sich pragmatisch und ruft zumindest kurzfristig die Krankenkassen auf den Plan, um Investitionen zu lenken und Fehlanreize – also auch die Finanzierung überflüssiger Einrichtungen – zu verhindern. Dem Einwand, dass dieser Kraftakt dann ja von der Gemeinschaft der gesetzlich Versicherten zu stemmen wäre, begegnet er mit der grünen Forderung nach der Bürgerversicherung. Aber, ja, solange wir diese nicht hätten, gäbe es da auch „ein gewisses Gerechtigkeitsdefizit, es sei denn, die Investitionsbeteiligung wird auf die Fallpauschalen aufgeschlagen“.

In der Theorie sind sich Gesundheitsökonomen und Terpe sogar einig mit der Gewerkschaft Verdi, die immer wieder für eine bedarfsgerechte Krankenhauslandschaft mobilisiert.

Versorgungsdichte verordnet

Aber woran misst sich, was bedarfsgerecht ist: Erreichbarkeit oder Nachfrage? Qualität oder Wirtschaftlichkeit? Und wie wird sich in 20 oder 30 Jahren der Bedarf entwickeln, je nach Region und demografischer Situation? Ist eine gesetzlich verordnete bundesweite Mindestversorgungsdichte der Heilsweg?

Nach den alters- und geschlechtsspezifisch bereinigten Daten des Sachverständigenrats wurden 2010 in verschiedenen Regionen Deutschlands zwischen 19,1 und 24,3 Fälle pro 100 Einwohner behandelt, wobei die ostdeutschen Flächenländer weit vorne liegen. Dort scheint der Fachärztemangel in der Fläche (oder auch die Tradition der Polikliniken oder einfach die schlechtere Gesundheit der Bevölkerung) zu einer höheren Frequentierung stationärer Einrichtungen zu führen. Die Wissenschaftler warnen, den aktuellen Bedarf zur Messlatte für die Versorgungsdichte zu machen statt den Bedarf der Zukunft. In den meisten Ländern und insbesondere im ländlichen Raum nehme die Zahl der Krankenhausfälle trotz des Bevölkerungsrückgangs zu.

Die zum Thema Krankenhaus eingesetzte Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft hätte, ob mit oder ohne Beteiligung der Krankenkassen, also die Aufgabe, die Zukunft der stationären Versorgung nicht den Selbstheilungskräften eines chaotisch reagierenden Markts zu überlassen, sondern unter Berücksichtigung zukünftiger Szenarien den Bedarf an Krankenhäusern zu planen. Nicht dass die Gesundheitsminister am Ende vor der gleichen Situation stehen wie derzeit ihre Kollegen von der Bildung, die wie in Berlin bei der Schulentwicklung den Zuwachs von ABC-Schützen einfach vergessen haben.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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