Wer gelegentlich oder gar regelmäßig n-tv schaut, kennt die laufenden Bänder am unteren Bildschirmrand, die suggerieren, in der Welt der global players zu Hause zu sein. Dabei sind nur die wenigsten Zuschauer im Stande, Kursabstürze oder -höhenflüge sinnhaft zu interpretieren; so wenig übrigens, wie die übereinandergeschichteten Basenfolgen, die derzeit medial eingeführt werden und den gesellschaftlichen Lektüre-Pflichtkurs erweitern. Dennoch oder gerade deshalb hält sich tapfer die Vorstellung, dass die Welt "lesbar" sei - wobei sich diese Lesbarkeit eher auf der Mechanik von Hollerith-Maschinenn bezieht, denn auf philosophische Interpretationsübungen.
Unterstützt wird dieser Glaube an die "Botschaft" derzeit in der Neuen Nationalgalerie Berlin, wo die amerikanische Konzeptkünstlerin Jenny Holzer ihre Installation beredten Schweigens vorführt und - entgegen aller defätistischen Behauptungen - "am Ende" das "Wort" platziert. 13 elektronisch gesteuerte Bildbänder mit Fluchtpunkt am klassischen Kassettenfirmament Mies van der Rohes strahlen hinaus in die Stadt: Über den Potsdamer Platz, das Kulturforum bis zum Reichstag und den Landwehrkanal, über dem sich nachts die bernsteinfarbene Lichtkaskade bricht und im Wasser verliert.
Nachts, wohlgemerkt, denn es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man sich an einem Sonntagvormittag dem kubischen Bau nähert, im Dämmerlicht oder spätabends, wenn vom Neuen Platz her die neo(n)lithischen Lichtorgien von Daimler- und Sony-Stadt in Konkurrenz treten mit den Holzerschen Lichtbahnen. Während die Newtonschen Nackten, die noch bis vor kurzem das Foyer der Nationalgalerie bevölkerten, auf das magnetische Tageslicht angewiesen schienen, wirken die mehrsprachigen Lichtsprüche der Amerikanerin wie alle klassischen Botschaften erst nächtens.
Dies allerdings, darf man vermuten, kaum in sinnstiftender Weise. Denn was sollte man halten von Holzers Überlebensformeln wie Beware me of what I want oder ihren "aufflammenden Essays", diesen unendlichen Geschichten von Liebe und Tod, Sehnsucht und Hass und Gewalt, denen man, am besten auf dem Rücken liegend, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Sprachen folgt. Seitdem die 1950 in Ohio geborene Jenny Holzer das Malen an den Nagel hängte und 1982 auf der New Yorker Times Square erstmals elektronisch annoncierte: Privateigentum führt zu Verbrechen!, sind ihre Leuchtinstallationen weltweit bekannt und gefragt; doch längst hat sich auch ihre provokative Absicht verschliffen im Pop - was auch heißen könnte: People opting for performance. Selbst spektakuläre Aktionen, wie das von weiblichem Blut getränkte Magazin der Süddeutschen Zeitung, mit dem Holzer während des Balkan-Kriegs auf die Massenvergewaltigungen in Bosnien aufmerksam machen wollte, verloren ihre message letztlich in der puren Aktion und beschäftigten höchstens noch bischöfliche Ordinariate. Blut und Körper verlieren, wie derzeit von Günther von Hagens einmal mehr zu lernen ist, ihre Heiligkeit im reinen Event.
Gewiss kein Zufall ist es jedoch, dass ausgerechnet ein städtebauliches Vermächtnis des Bauhaus-Altmeisters van der Rohe die Künstlerin faszinierte und Anstoß gab für dieses von Philip Morris gesponserte Mammutprojekt. Denn bei aller technischen Brillanz ist die Idee nicht so neu, wie es scheinen mag: Hatte der junge Brecht die desillusionierenden Sinnsprüche seinen Probanden noch vor die Brust geheftet, experimentierten Regisseure wie Erwin Piscator mit dem laufenden Band bereits Ende der zwanziger Jahre. Das Konzept entliehen sie der zeitgenössischen Reklame, das sie aufklärerisch umzuwidmen versuchten.
Die entleerte Annonce zu füllen mit Sinn in eben den Formen, die die beschleunigte Gesellschaft hervorgebracht hat, dürfte Jenny Holzer auch heute noch beschäftigen. Doch ihre Textprojektionen, die ab Februar auch an der Staatsbibliothek, dem Bundeskanzleramt, dem Berliner Rathaus und anderen exponierten Orten der Stadt zu sehen sein werden, sind selbst schon wieder Reflex auf den Bedeutungsschwund: Fathers often use too much force, steht etwa an der Staatsbibliothek zu lesen. Das gebildete Publikum nickt einverständig, fühlt sich gewiss nicht angesprochen und spendet ein paar Groschen an die Hotline für Frauen mit Gewalterfahrung, der auch der Erlös des Katalogs zugute kommt.
Wo also der Bedeutungsträger versagt, bleibt am Ende das Licht-Zeichen als kleinste Einheit der Holzerschen Kunst. Gebündelt fliegt es auf und wölbt sich über der Stadt, die sich nicht entziffern muss, denn ihr einziger Sinn ist es zu sein. Beim Träumen ist man unschuldig, weiß die Künstlerin, und einen dieser Träume hat die Lichtträgerin nach Berlin gebracht.
Die Ausstellung ist noch bis zum 16. April in der Neuen Nationalgalerie Berlin zu besichtigen.
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