Gleichgewichtsstörung

SARS Von der Konjunktur der Bedrohungsszenarien

Wer sich über die Konjunktur pathogener Ängste auf dem Laufenden halten will, besuche die Homepage des Berliner Robert-Koch-Instituts. Unter »Infektionskrankheiten A-Z« wird dort in eingewöhnten kryptischen Kürzeln - AIDS, BSE, FMSE - angezeigt, auf welche kriegerischen Invasionen sich der menschliche Körper einstellen muss. Nachdem sich monatelang der terroristische Angriff durch Milzbrand- oder Pockenerreger an der Spitze der Bedrohungsszenarien gehalten hat, besetzt aktuell die geheimnisvolle Lungeninfektion SARS diese Position. Dass die in Südchina entstandene, hoch ansteckende und derzeit kaum therapierbare Krankheit mitten im Irak-Krieg als »Rache Saddams« popularisiert wurde, ist nicht nur ein Beleg für den teleologisch aufgeladenen Deutungshorizont der aktuellen Berichterstattung, sondern verweist auch darauf, dass Krankheit selbstverständlich als Kriegswaffe wahrgenommen wird.

Gemessen an den Opfern des laufenden Krieges oder beispielsweise an der sich vor allem in Osteuropa wieder ausbreitenden Tuberkulose hat SARS weltweit bislang wenig Opfer gefordert (bei Redaktionsschluss waren es laut WHO-Angaben über 100, 2.300 Menschen sind infiziert, allerdings breitet sich die Krankheit täglich auf immer mehr Länder aus). Das liegt einerseits sicher an den drastischen Quarantänemaßnahmen, nachdem die Krankheit diagnostiziert war - was bezeichnender Weise erst passierte, als die ersten Fälle außerhalb Asiens auftraten. Mögen die panischen Reaktionen in Südostasien durchaus nachvollziehbar sein, so ist das Risiko, sich hierzulande an SARS zu infizieren, verschwindend gering.

Zu denken geben sollte aber, dass die Krankheit sich mittlerweile auch die Aufschlagsseiten der Wirtschaftsteile erobert hat: Man mag den »Volkskörper« gegen die tödlichen Eindringlinge abdichten, den internationalen agierenden homo oeconomicus haben sie bereits befallen: Der asiatische Aktienindex fällt dramatisch, das in Peking geplante Weltwirtschaftsforum ist erst einmal verschoben und die heimische Tourismusbranche klagt über hohe Verluste im Fernostgeschäft.

Dabei sollte der symbolische Gehalt viraler Verseuchung - das war bei AIDS oder Ebola kaum anders - nicht unterschätzt werden. Wie bei Computerviren befällt der nanometerwinzige Bösewicht das ganze »Netzwerk« des Menschen, es gibt keine verlässlichen Schutzmaßnahmen und keine wirksamen Therapien. Je vernetzter die globalen Kreisläufe, je mobiler die Menschen sind, desto höher das Ansteckungsrisiko. Nicht ohne Grund ist der Einbruch des Feindlich-Fremden heutzutage in Flughäfen lokalisiert, die Grenze und Durchlässigkeit zugleich markieren. Seitdem SARS von der WHO als Seuche deklariert worden ist, müssen sich Einreisende aus den betroffenen Regionen auf ihr gesundheitliches Erscheinungsbild hin kontrollieren lassen und werden bei Verdacht entsprechend ausgesondert. Und so lange die Infektionswege nicht eindeutig bekannt sind - im Unterschied etwa zu AIDS breitet sich SARS wahrscheinlich sowohl über Tröpfchen- als auch Schmierinfektionen aus - besteht, wie sich bereits in Hongkong zeigt, die Gefahr, dass Menschen, die mit SARS-Kranken zu tun hatten, gesellschaftlich ins Abseits gedrängt werden: Quarantäne als Synonym der gesellschaftlichen Entmischung und Isolierung des Anderen.

Dass das inzwischen diagnostizierte Virus aus der relativ harmlosen Erregerfamilie der Coronaviren entstammt und erhebliche genetische Mutationen durchlief, bevor es sein tödliches Potenzial entfaltete, verstärkt das Angstszenario zusätzlich. In anderen immunologischen Zusammenhängen - etwa mit der Xeno-Transplantation - wird dieses Phänomen schon seit längerem beobachtet, weil diese Veränderung die Voraussetzung dafür ist, dass ein Parasit die Artengrenze überwindet und vom Tier auf den Menschen überspringt. Im dicht besiedelten südostasiatischen Raum, wo Menschen und Tiere eng zusammen hausen und katastrophale hygienische Verhältnisse herrschen, ist dies besonders leicht möglich. Insofern ist SARS auch eine Armutsseuche, die nicht zuletzt über verschmutztes Wasser - Thema des eben zu Ende gegangenen Wassergipfels in Kyoto - entstanden ist.

Es waren einst die Europäer, die die großen Seuchen in den asiatischen Raum schleppten. Man könnte es, glaubte man daran, eine »Rache der Geschichte« nennen, dass sich diese Bewegung seit längerem nun umgekehrt hat und in ihrem Gefolge immer neue Krankheiten in die westliche Zivilisation bringt. Es ist aber kein Kampf, den eine »blinde Natur« gegen die Menschen führte, wie dieser Tage immer wieder zu lesen ist, sondern der Preis dafür, dass eine ökonomisch und sozial extrem ungleich entwickelte Welt immer durchlässiger wird und schneller passierbar ist. Insofern ist die Wiederkehr der Viren auch ein Symbol, das daran erinnert, wer von wem lebt. Und darauf aufmerksam macht, dass Gleichgewichtsstörungen jeder Art tödlich sein können.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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