Glücklich vereint

Kopftuchverbot Frankreich stärkt die laizistische Staatsdokrtin - und treibt die Islamisten ins katholische Lager

Vergangene Woche ging ein Filmstreifen um die Welt, der an Symbolwert kaum zu überbieten ist: Er zeigte einen aus dem "Erdloch" gehobenen Saddam Hussein mit wilder Mähne und Prophetenbart, der von amerikanischen "Zivilisatoren" wie ein Schaf geschoren wird. Nun verbietet sich gewiss der Vergleich des Diktators mit jenem biblischen Simson, der, von Delila um sein Haupthaar und damit um seine Kraft gebracht, von den ungläubigen Philistern in Gefangenschaft gesetzt wird und in einer Art Selbstmordattentat die feiernden Philister mit in den Tod reißt - doch die Vorführung des seines Haares beraubten, bezwungenen Saddam war ein politischer Demonstrationsakt par excellence, und in der arabischen Welt dürfte der Konnex zwischen der verräterischen Delila und dem verhassten Amerika wahrscheinlich nicht einmal so fern liegen.

Haare sind, das sollte aus dieser Einlassung deutlich werden, eben nicht einfach ein morphologischer Auswuchs tätiger Talgdrüsen, sondern mit hoher symbolischer Bedeutung besetzt (was die etwas älteren, ehemals langhaarigen Freaks unter uns noch bitter zu bezeugen wissen). Und so ist eben auch das weibliche Haupthaar nicht einfach mehr oder weniger attraktiver Schmuck, so wenig wie das es bedeckende Kopftuch nur ein privatim nutzbares modisches Accessoir oder eine der religiösen Praxis dienende Reliquie; es ist (auch) ein ideologisch besetztes, politisches Demonstrationssymbol, das, wie der Hidschab (Kopftuch und Mantel nach iranischer Vorschrift), vor allem "Trennung" markiert: Wir sind nicht so wie Ihr, mehr noch, wir wollen es auch gar nicht sein.

Das ist in einer säkularen integrationsorientierten Gesellschaft mit hohem kulturmonopolistischem Anspruch wie der französischen eine kaum zu überschätzende Kampfansage. Und in gewisser Weise hat ihr Präsident diese mit einer Gegenattacke erwidert: In Frankreich sind nicht nur alle dort Geborenen Franzosen, sie haben sich, zumindest in der Schule und in öffentlichen Funktionen, auch als solche zu geben: Kein Kopftuch, keine jüdische Kippa und auch kein christliches Kreuz soll den strengen Laizismus gefährden. Die schon jetzt in die politischen Annalen aufgerückte Predigt Jacques Chiracs war das Ergebnis einer langen Untersuchungstätigkeit der in deutschen Ohren eigenartig klingenden "Stasi-Kommission" (nach ihrem Vorsitzenden Bernard Stasi), die einen Vorschlag unterbreiten sollte, wie mit der "aufdringlichen Zurschaustellung" religiöser Symbole an Schulen umzugehen sei. Vorausgegangen war ein Dauerstreit um den Foulard, nachdem vor 14 Jahren erstmals französische Schülerinnen, die mit einem Kopftuch in den Unterricht kamen, suspendiert worden waren. Denn im Unterschied zu Deutschland, wo nach dem jüngsten Verfassungsgerichtsurteil derzeit in mehreren Ländern Gesetze in Vorbereitung sind, die nur Lehrerinnen das Tragen des islamischen Symbols untersagen sollen, geht es in Frankreich darum, alle religiösen Symbole aus der Schule zu verbannen.

Das französische "Machtwort" ist, betrachtet man den Wirrwarr hier zu Lande, eindeutig konsequenter: Denn wie etwa Frau Schavan dem Verfassungsgericht erklären will, warum deutsche Schüler durch eine Kopftuch tragende Lehrerin stärker indoktriniert werden sollten als durch eine im Habit steckende Nonne, ist beheimnist in jenen Abgründen baden-württembergischen Schulrechts, das vor keinen drei Jahrzehnten gerne noch über prügelnde Altnazis hinwegsah, linke Lehrer aber mit Berufsverbot überzog, weil die Schulschäfchen durch sie gefährdet schienen.

Frankreich hat das ungemeine Glück, auf eine Tradition zurückgreifen zu können, die den Klerus (zuletzt 1905 verfassungsrechtlich sanktioniert) in seine Grenzen verwies und die Religion aus den Staatsangelegenheiten verbannte. Gleichzeitig, dass sollte man nicht vergessen, hat der Katholizismus dort eine Monopolstellung, die seinem in Konfessionsdingen gebeutelten und in gewisser Hinsicht toleranzgeübteren deutschen Nachbarn unbekannt ist. Seitdem sich der Islam in Frankreich nun zur zweitstärksten Religionsgemeinschaft formiert hat (dort leben schätzungsweise drei bis fünf Millionen Muslime) und dieser seine Symbole gegen die ökonomisch und politisch viel einflussreichere Mehrheit in Stellung bringt, fühlt sich nicht nur der Staat in seiner auf strikte Neutralität verpflichteten Grundhaltung herausgefordert, sondern auch die religiöse Mehrheit, die, wie privat auch immer, das Bild Frankreichs nach außen prägt.

Darin haben die wunderbaren katholischen Sakralbauten ebenso ihren Platz wie die Kenntnis und Praxis abendländischer Traditionen (wer einmal Fronleichnam in Frankreich erlebt hat, weiß davon) - die französischen Vorstädte jedoch mit ihren Einwanderungsopfern und ihren Riten und Symbolen bleiben möglichst ausgeblendet, und eben deshalb mag der Präsident auch keine weiteren außerchristlichen Feiertage zubilligen. Wer aufsteigen will, muss sich assimilieren, und die meisten schaffen es nicht - am wenigsten die Mädchen aus den Vorstädten, um deretwillen der Streit (angeblich) geführt wird. Ihr Rückgriff auf eine für wie immer auch fragwürdige, politische Zwecke mobilisierbare islamische Tradition ist letztlich nur das Indiz der gescheiterten Integrationspolitik eines Staates, der zwar offiziell neutral firmiert, aber die Sonderstellung seiner christlichen Mehrheit, gewandet in die republikanische Tricolore, täglich unter Beweis stellt.

In der Praxis wird das französische Kopftuchverbot an staatlichen Schulen eine eigenartige Konsequenz haben und die Trennung, die es verhindern sollte, vertiefen: Schon jetzt rufen islamistische Fundamentalisten ihre Anhänger dazu auf, Mädchen in katholischen Schulen erziehen zu lassen, weil an konfessionellen Einrichtungen das Verbot nicht gilt. Katholische und islamische Orthodoxie unter einem Dach: Vielleicht zieht der "Krieg der Kulturen" ja noch einmal ganz neue Scheidelinien. Sicher ist, dass der weibliche Körper symbolisch in seinem Brennpunkt stehen wird. Und in gewisser Hinsicht enthüllt der Schleier eben auch die dunkle Seite der Moderne.


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Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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