Im Schatten der auf die Ereignisse in New York und Washington folgenden Kriegsparalyse blieb eine Meldung weitgehend unbeachtet, die, wenn das Szenario zu Ende gedacht wird, für die Menschheit erheblich langfristigere Konsequenzen zeitigen könnte, als die aktuelle Auseinandersetzung der westlichen Welt mit islamistischen Extremisten. An der Medizinischen Universität in Kanton ist chinesischen Genetikern unter Leitung von Professor Xen Xigu erstmals eine Mensch-Tier-Kreuzung gelungen. Sie benutzten dazu den Kern einer Hautzelle aus der Vorhaut eines siebenjährigen Jungen und verschmolzen sie mit dem Ei eines Kaninchens. Nach mehreren Teilungen, so die Nachricht aus Kanton, seien die Zellen in das entscheidende Morula-Stadium (das Stadium, in dem sich die Eizelle durch Fu
Furchungen zu einem kompakten Zellhaufen entwickelt hat) übergegangen. Die Forscher hatten mit diesem Experiment beweisen wollen, dass die bislang bezweifelte, gattungsübergreifende Kreuzung tatsächlich möglich ist.Aufgrund von Protesten nicht nur in China, sondern aus der ganzen Welt bekundete Xigu, es handele sich keineswegs um eines der umstrittenen Klonexperimente, vielmehr diene die Mensch-Tier-Kreuzung der Herstellung embryoanler Stammzellen. Während man bei bisherigen Verfahren auf die nicht beliebig verfügbaren weiblichen Eier zurückgreifen müsse, sei die Chimärenbildung eine elegante Lösung. In China selbst beobachtet man die Forschungen an der Kantoner Universität mit gemischten Gefühlen: Nicht nur herrscht die Angst, die Kantoner könnten anderen chinesischen Forschern - etwa an der Pekinger Universität, wo man derzeit mit Pandas experimentiert, deren Zellen anderen Tierarten eingepflanzt werden - den Rang ablaufen; "schockiert" zeigte sich etwa der Präsident der chinesischen Akademie der Wissenschaft, weil die Experimente einem "Tabubruch" gleichkommen.Offiziell gilt die Herstellung von Mischwesen in der ganzen Welt als verwerflich, sowohl aus ethischen Gründen als auch aus handgreiflich medizinischen. Wie bei der Xeno-Transplantation (der Übertragung tierischer Organe auf den Menschen) besteht auch bei dem in Kanton gewählten Verfahren die Gefahr, dass Tiererreger auf den Menschen übergreifen - mit unabsehbaren immunologischen Folgen, wenn das Material auf den Menschen übertragen wird. Die makabre Kreuzungs-Prozedur bezweckt nämlich nichts anderes als die Herstellung von Embryonen, aus denen man eines Tages im Klonverfahren menschliche Stoffe und Organe gewinnen will. Selbstverständlich heiligt auch in diesem Fall der Zweck die Mittel: Man wolle, so die Rechtfertigung der Kantoner Forscher, lediglich Krankheiten heilen.Es wäre vermessen, den ethischen Bedenken und Protesten, die sich aus Wissenschaftskreisen auch in Deutschland erhoben, nur ein strategisches Kalkül - im Sinne, was wir nicht dürfen, sollen auch die nicht machen - zu unterstellen. Aber einmal angenommen, hierzulande setzte sich nach langem Hin und Her doch noch ein Importverbot für Stammzelllinien durch; und angenommen, Frauen würden sich der für die Stammzellforschung nötigen Eizellspende entziehen; und weiter unterstellt, die chinesischen Wissenschaftler hätten, wie sie behaupten (auch wenn dies in fachkundigen Kreisen bezweifelt wird), irgendwann Erfolg mit ihrer Methode: Dann könnte in der forschungspolitischen Grenznutzendebatte einmal die Schwelle erreicht sein, wo die Mensch-Tier-Chimäre als "kleineres Übel" erschiene.Am Donnerstag vergangener Woche beriet der Nationale Ethikrat über die Zulässigkeit, Stammzellen nach Deutschland zu importieren. Bekanntlich haben Bonner Forscher mit Unterstützung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsident Clement und zunächst auch der DFG im Sommer diese Lücke im Embryonenschutzgesetz benutzt, um an Stammzelllinien aus Israel heranzukommen. Die DFG signalisiert auch jetzt noch ihre grundsätzliche Bereitschaft, die Einfuhr von Embryonen aus Steuermitteln zu finanzieren. Ein Hindernis für die voranpreschenden Forscher ist derzeit die Enquete-Kommission des Bundestages, von der eine eher ablehnende Stellungnahme erwartet wird.In dieser Situation fällt dem Ethikrat eine ihm wohl wenig angenehme Entscheidungsrolle zu, die noch dadurch erschwert wird, dass sich seine Mitglieder unter Zeitdruck gesetzt sehen. Dem Antrag der Bonner Forscher gegenüber aufgeschlossen ist nicht nur die DFG, sondern auch Wissenschaftsministerin Edelgard Bulmahn, die verlauten ließ, dass sie gegen den Verbrauch bereits existierender Embryonen nichts einzuwenden habe. Nun ist zu lesen, dass sie bereits in den nächsten Wochen Gespräche mit Wissenschaft und Wirtschaft über die Einfuhr von Embryonen führen will.Doch der Ethikrat will sich von derlei Präjudizierungen offenbar nicht beeinflussen lassen. Die Kritiker des Imports werden derzeit bestärkt durch die Erfolge mit adulten Stammzellen an der Universitätsklinik Düsseldorf, die neue therapeutische Perspektiven eröffnen. Bis heute umstritten ist darüber hinaus, ob sich aus den Embryonen im Achtzellstadium nicht doch noch ein Mensch entwickeln kann. Vor diesem Hintergrund werde es, so der Vorsitzende Spiros Simitus, "kein telegrammartiges Ergebnis für die eine oder andere Richtung" geben. Erwartet wird die Stellungnahme frühestens Ende November. Wenn Kanzler Schröder den von ihm eingesetzten Rat nicht desavouiert sehen möchte, wird er seine Ministerin ein wenig an die Leine nehmen. An der Frage Embryonen-Import wird zumindest abzulesen sein, auf welchen Rückhalt in der Politik die beiden Institutionen - die Enquete-Kommission und der Ethikrat - vertrauen können. Denn wenn das chinesische Beispiel Schule macht, wird am Ende nur noch über "kleinere Übel" zu verhandeln und alternative Wege wie etwa in Düsseldorf verschlossen sein.