Im Korridor Vacui

Hochschulen Wer heute eine akademische Karriere anstrebt, ist entweder todesmutig oder verrückt
Ausgabe 30/2014

Die Schwachen müssen laut sein. Die Mächtigen sind leise. Laut waren zum Semesterende hin – mit so präziser Regelmäßigkeit, dass es öffentlich kaum mehr wahrgenommen wurde – die Studierenden, die gegen unzumutbare Studienbedingungen protestierten. Auf leisen Sohlen dagegen wurde vergangene Woche eine weitreichende Grundgesetzänderung abgesegnet, die dem Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern ein Ende setzt. Nach temporärer Exzellenzinitiative und Hochschulpakt wäre es dann möglich, dass der Bund den Universitäten und Fachhochschulen Mittel für Dauerstellen zuschießt.

Kritik vom Wissenschaftsrat

Denn es muss etwas passieren, darin sind sich alle einig. Aber weil die Baustellen an den Universitäten fast unüberschaubar sind, weil sich die Länder mit Großprojekten wie Hochschulen oder Krankenhäusern immer schwerer tun und die Bildungseinrichtungen aus den politischen Experimentierzonen nicht herauskommen, werkelt das insgesamt rund 225.000 Personen umfassende hauptamtliche wissenschaftliche und künstlerische Personal weiter an den akademischen Abbruchkanten. Das hört sich zunächst üppig an, aber unter ihnen befinden sich nur rund 26.000 bestallte Professoren, das Gros der anfallenden Tätigkeiten wird von wissenschaftlichen Mitarbeitern gestemmt, von denen – und nun kommt der Clou – gerade einmal 15 Prozent einen unbefristeten Vertrag haben. Entweder weil die Universitäten sie nur zeitlich begrenzt einkaufen oder weil sie ohnehin von befristeten Drittmitteln abhängig sind. Diese letztere Gruppe wächst seit 2000 rasant an, während die Zahl der Professoren stagniert und der studentische Zustrom an die Hochschulen unvermindert anwächst.

Das alles hat der Wissenschaftsrat vergangene Woche in einem ungewöhnlich alarmierenden Gutachten vorgerechnet. Junge Menschen mit akademischen Ambitionen sitzen, selbst wenn sie in kafkaesken Schleifen den berühmten Torwächter überlistet und Zugang zu den heiligen Hallen gefunden haben, in einem Vakuumkorridor. Zuerst verfangen sie sich in der Warteschleife zwischen Bachelor und Master, die sie die durch G8 gewonnene Zeit wieder verlieren lässt. Und dann folgt der Irrgang durchs Schloss.

Dann nämlich beginnt die unendliche, unsichere Phase des Hoppings: Dem Stipendium oder der elterlichen Alimentierung, die es noch erlauben, in zwei, drei Jahren eine ordentliche Doktorarbeit hinzulegen, folgt die Durststrecke: Postdoc-Phase nennt sich das im akademischen Slang. Zur Auswahl steht die klassische Ochsentour bis zur Habilitation, die man weiterhin als Stipendiat, seltener als abhängiger Assistent oder eben in irgendeinem Drittmittelprojekt als wissenschaftlicher Mitarbeiter überstehen kann (wenn man nicht gerade Medizin studiert und in die ausbeuterische Kliniklandschaft gerät). Die andere Möglichkeit ist die Juniorprofessur, der Einstieg in eine Art Billigflieger im Turbomodus. Rund 1.500 sind derzeit am akademischen Himmel unterwegs, ob die Piloten aufgrund ihrer Bordlast von Lehre und Gremienarbeit je am Ziel ankommen, ist ungewiss.

Bis dahin sind sie schon Ende 20 oder älter und mitten in der Familiengründungsphase. Die meisten, nämlich rund 94 Prozent aller Promovierenden – und insbesondere Frauen – , sind vorher freiwillig von Bord gegangen oder wurden herauskatapultiert. Derart unsichere Karriereaussichten sind einem stabilen Beziehungs- und Familienleben nicht zuträglich. Den Unverdrossenen und Zähen indessen steht, wenn sie einmal die venia, also das Recht, an einer Hochschule unterrichten zu dürfen, erlangt haben, noch einmal eine turbulente Phase bevor: Pendeln zwischen Wohnort und der Uni, wo die Glücklicheren eine befristete Gast- oder Vertretungsprofessur bekleiden; hoffnungsängstliche Bewerbungen und Abstürze, wenn man nach einer material-, zeit- und nervenaufwendigen Schlacht doch nur auf Platz zwei oder drei einer Berufungsliste gelandet ist; Suche nach weiteren existenzsichernden Drittmittelstellen mit begrenzter Laufzeit – und natürlich die unentgeltliche Arbeit als Privatdozent, um die mit so viel Mühen errungene venia nicht zu verlieren. Und wie in allen anderen Berufen gilt auch hier: je höher die Qualifikation, desto schlechter die Aussichten, sich in schlecht bezahlten Brotjobs verdingen zu können. Mit anderen Worten: Wer eine akademische Karriere anstrebt, ist todesmutig oder verrückt.

Die Taxifahrer

In den 70er und 80er Jahren, als meine Generation im Westen studierte, kursierte das Bild vom philosophiestudierten Taxifahrer in der Öffentlichkeit. Lehramt zu studieren, um ein Beispiel zu nennen, galt als beruflicher Selbstmord, weil die Schulen dichtgemacht worden waren. Heute suchen die Oberschulämter in Berlin und anderswo händeringend Lehrer, und sie können sich vor überqualifizierten und lehrwilligen Seiteneinsteigern, die meist keine didaktischen Fertigkeiten mitbringen, nicht retten. Gnade den Schülern, vor denen sie stehen werden. In absehbarer Zeit, prophezeit der Wissenschaftsrat, werden auch die Hochschulen in eine ernsthafte Bredouille kommen, wenn nicht endlich etwas passiert.

Das allem zugrunde liegende Problem ist, dass die Grundfinanzierung der Universitäten und Fachhochschulen seit Jahren sinkt im Vergleich zu den Drittmitteln. Was, nebenbei, auch dazu führt, dass nicht nur der Nachwuchs unablässig mit sogenannter Antragsprosa belästigt wird, sondern auch hochdotierte Hochschullehrer, die ihre Zeit gerne für anderes einsetzen würden. Die eingangs angesprochene Änderung des Grundgesetzes wäre – wenn sich die grün regierten Länder im Bundesrat durchringen könnten, ihr zuzustimmen – ein erster Schritt, den Hochschulen Planungssicherheit zu geben. Allerdings würden die 14 Milliarden Euro, um die der Bildungshaushalt von Ministerin Johanna Wanka in diesem Jahr auf 224 Milliarden angestiegen ist, dafür nicht ausreichen.

Alle anderen Vorschläge – etwa von ausländischen Studierenden hohe Gebühren einzutreiben oder einen neuartigen Länderausgleich zu schaffen, indem das Land, in dem der Studierende seine Hochschulberechtigung erlangt hat, den Studienplatz finanziert – sind aus Gerechtigkeitserwägungen problematisch. Im einen Fall würden standortschwache Universitäten benachteiligt, im anderen die Probleme der strukturschwachen abwanderungsgeplagten Länder verstärkt werden.

Der eigentliche Skandal ist, dass sich diese Gesellschaft seit Jahrzehnten einen immens teuren, hoch qualifizierten Nachwuchs leistet, den sie dann völlig brachliegen lässt oder in Warteschleifen oder Ausnüchterungszellen parkt. Man muss gar nicht das demografische Argument aufs Tapet bringen: Die gegenwärtige Praxis bedeutet Ungerechtigkeit und Betrug. Ungerechtigkeit, weil nicht mehr so ganz junge Menschen einer nicht im Mindesten planbaren Zukunft ausgeliefert werden; Betrug an der Gesellschaft, die gegenwärtig ihre Ausbildung bezahlt. Noch nie hat man vom Bund der Steuerzahler, der doch die abseitigsten Konten filzt, darüber Empörung vernommen.

Ob der Vorschlag des Wissenschaftsrats, nach amerikanischem Vorbild sogenannte Tenure-Track-Professuren einzurichten, den akademischen Himmel planbarer macht, steht dahin. Tenure bedeutet an den dortigen Universitäten eine Art Karriereversprechen, bei dem die Stelleninhaber unter Beweiszwang stehen: kurzfristige Professuren, die bei Bewährung auf Dauer gestellt werden, ganz im Sinne des angelsächsischen Leistungsprinzips. Das bange Zittern der Betroffenen um ihr Tenure ist geradezu legendär.

Eine vielleicht viel nachhaltigere Möglichkeit wäre es, den völlig ausgedünnten akademischen Mittelbau, also Stellen jenseits der Professur, wieder zu beleben. Früher waren das Studienräte, die von der Schule an die Hochschule wechselten, heute könnten absolvierte Promovenden mit intrinsischer Lehrleidenschaft darin eine Perspektive finden. Vorstellbar wären auch unbefristet selbstständig Forschende, ähnlich wie an den außeruniversitären Einrichtungen wie den Max-Planck- und Leibniz-Instituten, die personell viel besser ausgestattet sind.

Berufliche Sicherheit ist, wie wir wissen, nicht gerade das Kennzeichen neoliberaler Verhältnisse. Die Universitäten waren der Schauplatz, an dem vorexerziert wurde, wie man hoch qualifizierte Menschen an der ausgestreckten Hand verhungern lassen kann, bis hin zur unbezahlten Sklavenarbeit von Lehrbeauftragten. Sie waren damit Vorbild für alle folgenden Arbeitskraftvermarkter auf Abruf. Es hätte doch einen gewissen Reiz, wenn die Hochschulen Exempel auch für die andere Richtung werden könnten.

Für Sie oder Ihren Hasen

6 Monate den Freitag mit Oster-Rabatt schenken und Wunschprämie aussuchen

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

Verändern Sie mit guten Argumenten die Welt. Testen Sie den Freitag in Ihrem bevorzugten Format — kostenlos.

Print

Die wichtigsten Seiten zum Weltgeschehen auf Papier: Holen Sie sich den Freitag jede Woche nach Hause.

Jetzt kostenlos testen

Digital

Ohne Limits auf dem Gerät Ihrer Wahl: Entdecken Sie Freitag+ auf unserer Website und lesen Sie jede Ausgabe als E-Paper.

Jetzt kostenlos testen

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden