Am Ende sind immer alle schlauer und mit Ratschlägen nicht geizig. Der Flop mit der Personalie Kirchhof, die angekündigte Mehrwertsteuererhöhung, die ausgestrahlte "soziale Kälte" oder einfach zu viel Nachsicht gegenüber einem rüpelnden Kanzler, der eine Amtsnachfolgerin Merkel schlicht als Beleidigung empfindet: Gründe finden sich genug, das Wahldebakel der Union zu erklären. Dabei war es doch Friedrich Merz, der wenige Tage vor der Wahl wieder hervorgezauberte Finanzexperte, der Kirchhof politisch salonfähig gemacht hatte; es war Hans Eichel, der in den Niederungen von Hundefutter die Erhöhung der Mehrwertsteuer im Spiel hielt; und unbestreitbar schlägt die "soziale Kälte", die von Agenda 2010, Hartz IV und Gesundheitsreform ausgehen, im Negativsaldo von Rotgrün zu Buche. Die Zumutungen der Angela Merkel haben das Gefühlsthermometer der Republik noch gar nicht erreicht.
Wenn Angela Merkel also, wie sie so gerne sagt, "vom Ende her" ihr politisches Experiment betrachtet, scheint es fast so, als ob die Versuchsanordnung gescheitert und der unaufhaltsame Aufstieg der Pfarrerstochter aus dem brandenburgischen Templin an sein Ende gekommen wäre. Denn eine Kanzlerschaft Merkels wird unter den gegenwärtigen Bedingungen immer unwahrscheinlicher, und die von ihr eingeforderte Bestätigung als Fraktionschefin, die einer Vertrauensfrage gleichkommt, scheint dies nur zu unterstreichen. Als Kanzlerin hätte die Unionsvorsitzende diesen Posten ohnehin aufgeben müssen.
Jedenfalls hat Schröder, dem allein die Sozialdemokraten ihr politisches Comeback verdanken, seiner Herausforderin noch einmal ein dickes Ei gelegt, als er dekretierte, unter Merkels Kanzlerschaft sei eine Koalition mit "seiner" Partei nicht zu machen. Die sogenannte "Schwampel" unter Einbeziehung der Grünen scheint eher unwahrscheinlich, weil diese in der neoliberalen Backmischung zwar durchaus Treibmittel sein, darin aber bis zur Unkenntlichkeit aufgehen könnten. Noch unwahrscheinlicher ist unter Merkels Führung ein Tolerierungskabinett mit wechselnden Mehrheiten - es würde keine 100 Tage überstehen.
Wer der Niederlage Merkels auf die Spur kommen will, muss zurückgehen ins Jahr 2000. Da hatte sie ihren Chefinnenposten gerade 100 Tage inne und musste die erste große Schlappe ihrer Führung hinnehmen, als der damals Regierende Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen im Bundesrat in die Umarmung von Kanzler Schröder fiel und der rotgrünen Steuerreform den Weg ebnete. Seither reißt die Kette von Dolchstößen aus dem Hinterhalt der Länder nicht ab: Es waren die Landesfürsten, die Angela Merkel 2002 nötigten, zugunsten von Edmund Stoiber auf die Kanzlerkandidatur zu verzichten. Es waren die Landesfürsten Koch und Stoiber, die gegen Merkels Kopfpauschale Front machten, und es war - ausgerechnet! - die niedersächsische Sozialministerin von der Leyen, die am Ende sogar das Zahnprothesenmodell (gedachtes Übungsfeld für die Gesundheitsprämie) verwarf. Es waren ostdeutsche Landesfürsten, die auf Distanz zum Hartz IV-Kompromiss gingen. Und es war die um Beweglichkeit bemühte CSU, die mit Blick auf ihre Klientel das soziale Abbruchgeschäft der Unionsvorsitzenden überließ und immer mal wieder aus der Hüfte schoss. Geholfen hat es, wie die Wahlergebnisse in Bayern belegen, nicht viel. Opportunismus verzeihen die Wähler offenbar nur einem Rammbock wie Schröder, der sich um Prinzipien noch nie geschert hat.
Angela Merkel verdankte ihren Aufstieg während des CDU-Spendenskandals der Tatsache, dass die Partei eine unverdächtige und glaubwürdige Ausputzerin brauchte. Dass sie sich so lange halten konnte, mag durchaus auf Ehrgeiz und persönliches Machtmanagement zurückzuführen sein; doch vor allem auf die Tatsache, dass sich die Söhne-Nachfolge aus der Kohl-Ära in den Ländern noch immer nicht formiert hat und Merkel auf die Konkurrenz unter ihnen zählen konnte. Wenn Schröder am Wahlsonntag Merkels Machtanspruch mit dem Hinweis erledigte, dass nicht die Fraktion, sondern eine Partei die Mehrheit benötigt, um den Kanzler zu stellen, trieb er diesen Keil gezielt noch ein bisschen tiefer.
Das Paradoxe an der Kanzlerinnen-Anwartschaft von Angela Merkel war, dass sie, um Erfolg zu haben, auf etwas hätte setzen müssen, worauf sie keinesfalls setzen durfte: Dass sie eine Frau ist, die aus Ostdeutschland stammt. Auf den Frauenbonus musste sie schon qua Persönlichkeit verzichten und vielleicht auch deshalb, weil das Ökonomisch-Soziale mittlerweile alles andere überlagert hat. Das ostdeutsche Ticket musste sie ausschlagen, um die südlichen Landsmannschaften nicht noch mehr zu verprellen. Sie hat, das entspricht vielleicht ihrem Naturell als Wissenschaftlerin und ihrer ostdeutschen Herkunft, auf die "ehrliche" Kühle einer neoliberalen Sozialtechnik gesetzt und ist daran in doppelter Weise gescheitert: Weder hat sie die sozialen Wärmestuben bedient, noch die Ansprüche an eine politische Vision. Daraus hat der Prolet Schröder für sich einen Vorteil gemacht, indem er Merkel als nicht satisfaktionsfähig vorführte. Die Landesritter, die sie hätten verteidigen sollen, ließen das Schwert abwartend stecken. "Kein Scherbengericht" heißt es nun offiziell, wollen sie über Angela Merkel führen. Aber "wenn sie nix hinkriegt, darf die Union das auch nicht zulassen".
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