Vielleicht ist nur der extrem heiße Sommer verantwortlich für die Aufregung. Der Blick auf ausgetrocknete Böden, verdorrte Pflanzen und die Furcht vor steigenden Lebensmittelpreisen heben ins Bewusstsein, wie verletzlich als selbstverständlich empfundene Versorgungsketten sind. Jedenfalls hat die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), durch Mutagenese veränderte Pflanzen grundsätzlich den strengen Zulassungs-, Kennzeichnungs- und Überwachungsregeln für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zu unterwerfen, neben Zustimmung auch heftige Abwehrreaktionen provoziert.
Unter Mutagenese versteht man die ungezielte oder gezielte Veränderung von Erbgut. Erstere kommt in der Natur vor oder kann durch konventionelle Züchtungstechniken erreicht werden, etwa durch Strahlung oder chemische Prozesse. In Luxemburg ging es aber um die relativ neue Methode, mittels eines Enzyms die DNA an bestimmten Stellen „aufzuschneiden“ – deshalb der etwas irreführende Begriff „Gen-Schere“ –, einzelne Basen herauszunehmen und zu ersetzen, um gewünschte Eigenschaften zu erzielen. Im Unterschied zur Neukombinierung von Erbinformation verschiedener Arten sind bei der Punktmutation Veränderungen im Zielprodukt nicht mehr nachweis- und, einmal freigesetzt, auch nicht rückholbar, falls sich unerwünschte Erscheinungen herausbilden. Die Richter hatten nun auf Grundlage des Europäischen Gentechnikrechts von 2001 zu entscheiden, ob es sich bei dieser Art gentechnisch veränderter, aber als solche nicht erkennbarer Pflanzen um GVO handelt oder nicht. Ein Etappensieg im Kampf gegen die Zurichtung der Natur?
Doch was ist „Natur“ schon in einer Landwirtschaft, die nicht erst mit dem Agrobusiness ihre Unschuld verloren hat? Auch Biobauern setzen gezüchtete Kulturpflanzen ein, auch „alte Sorten“ sind kein Wildwuchs, Züchter „mendeln“ Gewünschtes heraus und eliminieren Unerwünschtes. Nur bewerkstelligt das die Gen-Schere zielgenauer – auch wenn die Gen-Edierung mittels CRISPR, wie verschiedene Forschungsprojekte zeigen, durchaus unerwünschte Mutationen hervorrufen können – und vor allem sehr viel schneller.
Und genau das ist der ökonomische Hintergrund im internationalen Wettlauf um die Anwendung der CRISPR-Technik: Immer neue Sorten können immer schneller und billiger auf den Markt gebracht werden, und weil sie technisch verändert wurden, sind sie auch patentierbar, mit allen Folgen für die landwirtschaftlichen Produzenten.
Vielleicht richten diese Produkte weniger Schaden an als etwa die medizinische Anwendung der Gen-Schere, die im Verdacht steht, Krebs auszulösen, und vielleicht ist es sogar möglich, Resistenzen alter Nutzpflanzen zurückzu-„edieren“. Aber selbst wenn die kleinen Start-ups mit ihren „Gen-Schneidereien“ zum Zuge kämen, würde die ungehinderte Freisetzung dieser Pflanzen die Wahlfreiheit derer einschränken, die sich für nicht gentechnisch veränderte Lebensmittel entschieden haben. Und ist Wahlfreiheit nicht ein fundamental liberales Prinzip?
In größerem Maßstab wäre dagegen zu entscheiden, ob wir uns mit dem Klimawandel und seinen Folgen abfinden und lediglich Anpassungsreparaturen auf den Weg bringen wollen oder nicht. Es verstärkt sich der Eindruck, dass inzwischen auch das Hochhalten der Klimaziele als „old fashioned“ gilt.
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