Für Kritik an Jens Spahn gibt es jede Menge Anlässe: Mit dem wirren Kurs des Gesundheitsministers in Sachen Corona-Impfung, der Einladung zur Abzocke an Betreiber von Teststellen und Spahns Versuchen, Journalisten bei der Recherche zu seinem Villenkauf zu behindern, sind diese Anlässe längst nicht vollständig aufgezählt. Ob er, wie von der SPD unterstellt, Obdachlosen und Hartz-IV-Empfängern mangelhafte Schutzmasken andrehen wollte, blieb bis zuletzt ungeklärt. Vorbehaltlos hingegen ist dem CDU-Minister vorzuwerfen, was aus der von ihm groß angekündigten Pflegereform nun geworden ist.
Spahn wollte einlösen, was seine Vorgänger immer wieder verschleppt haben. In der Altenpflege Beschäftigten versprach er einen Lohn, der zum Leben reicht, Pflegebedürftigen die Deckelung der Eigenanteile und Heime wollte er verpflichten, mehr Personal einzustellen. Doch das, worauf sich die Koalitionäre in den letzten Minuten der Legislaturperiode geeinigt haben, ist ein aus Kompromissen und Kleinmut geborenes Stückwerk, wie es die meisten „durchgreifenden“ Sozialreformen kennzeichnet. Da ein verbindlicher flächendeckender Tarifvertrag am Widerstand der Caritas gescheitert ist, können sich die privaten Heimbetreiber nun irgendeinen Tarifvertrag aussuchen und damit im Pflegegeschäft bleiben. Verdi ist zu Recht alarmiert; es lässt sich absehen, dass viele in der Pflege Tätige leer ausgehen werden; Tarifverträge mit Dumpinglöhnen gibt es in der zerklüfteten Branche zuhauf. Mehr Personal werden die Einrichtungen aber erst finden, wenn endlich besser bezahlt wird.
Der geplante Zuschlag zu den Pflegekosten – der steigende Beitrag der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen zu den Investitionskosten und zur Verpflegung ist gar nicht berücksichtigt – entpuppt sich als Mogelpackung: Er greift erst, wenn die zu Betreuenden zwei und mehr Jahre im Heim gelebt haben. Das gilt nur für eine Minderheit. Im ersten Jahr werden die durchschnittlich 40 Euro Ersparnis – fünf Prozent von rund 830 Euro Pflegekostenanteil – schon von den Kostensteigerungen aufgefressen. Ursprünglich hatte Spahn versprochen, den Eigenanteil vom ersten Monat des Heimaufenthalts an auf 700 Euro zu begrenzen.
Solide finanziert sei die Pflegereform immerhin, versicherte der Minister, per Bundeszuschuss von einer Milliarde Euro und weiteren 400 Millionen, die Kinderlose bezahlen sollen, indem ihr Versicherungsbeitrag um 0,1 Prozent steigt. Davon abgesehen, dass dieses Sonderopfer umstritten ist, rechnet der Spitzenverband der Krankenkassen, der die Pflegekasse verwaltet, Spahn vor, dass eine Deckungslücke von zwei Milliarden Euro in Aussicht stehe, weil ein Teil der Leistungen der Pflegekasse nicht dynamisiert, also an die allgemeine Kostensteigerung angepasst wird.
Eine „Reformbaustelle gewaltigen Ausmaßes“ prophezeit der Verband der künftigen Bundesregierung. Diese wird der zwischen Maskenskandal und Testbetrug lavierende Spahn, politisch angeschlagen wie er ist, kaum mehr in Angriff nehmen. So darf man sein Versprechen an die Heimbetreiber, auch weiter Geld verdienen zu dürfen, schon jetzt zu den Akten legen. Genau hier läge der Ansatz zu einer wirklich nachhaltigen Reform: Das Aus für Konzerne, die aus Gesundheit und Pflege nur Rendite schlagen wollen. Das bedeutet nicht das Ende privaten Engagements, sondern rücksichtsloser Wertabschöpfung. Gepaart mit einer Versicherung, die von allen getragen wird, wäre die Grundlage geschaffen für eine würdige Pflege.
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