In der Zwillingshölle von Auschwitz

Menschenversuche Überlebende im ehemaligen Dahlemer Institut für Anthropologie

Der Wissenschaft, erklärte kürzlich der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG), Hubert Markl, müsse eine klare ethische und rechtliche Grenze gesetzt bleiben. Lobend äußerte er sich über die in dieser Hinsicht eindeutigen Worte von Bundespräsident Rau und bekannte sich zur historischen Verantwortung der MPG für die Kaiser-Wilhelm-Institute (KWI) , die als Vorgängereinrichtung in die verbrecherischen Forschungen der Nationalsozialisten verstrickt waren.

Derlei Bekenntnisse sind an der Tagesordnung, seitdem eine unabhängige Forschungsgruppe die Rolle der KWI´s in einem auf fünf Jahre angelegten Großprojekt untersucht (vgl. Freitag 44/2000). Vergangenes Jahr etwa wurde am Delbrück-Centrum für Molekularbiologie in Berlin-Buch, das vor 1945 das KWI für Hirnforschung beherbergte, ein Mahnmal für die Opfer des nationalsozialistischen Euthanasieprogramms enthüllt. Doch Markls förmliche Entschuldigung anlässlich des Symposiums "Biowissenschaften und Menschenversuche an Kaiser-Wilhelm-Instituten und ihre Verbindung nach Auschwitz" war insofern besonders brisant, als dass sie vor Überlebenden der berühmt-berüchtigten Zwillingsexperimente des Arztes Josef Mengele ausgesprochen wurde. Schon die Tatsache, dass die heute in Israel und den USA ansässigen Opfer den Ort der Täter - das ehemalige Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin-Dahlem - aufsuchten, sorgte für hohe Aufmerksamkeit.

Eben dieser Opferstatus allerdings ist es, mit dem manche der Überlebenden wie Eva Mozes Kor Probleme haben. Als Präsidentin und Gründerin des Verbandes von überlebenden Kindern, mit denen in Auschwitz experimentiert wurde (C.A.N.D.L.E.S.), hat sie nicht nur Tausende von Leidensgeschichten gesammelt und dokumentiert, sondern, zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Miriam, die grausamen Zwillingsversuche am eigenen Leib erfahren. Als Zehnjährige bei ihrer Ankunft in Auschwitz 1944 von ihrer Mutter fortgerissen und einer besonderen Zwillings-Gruppe zugeteilt, wurden an den Kindern so grauenhafte Experimente verübt, dass von den rund 1.500 Zwillingspärchen weniger als 200 Einzelpersonen überlebten. "Wenn ein Zwilling an den Folgen der Experimente starb, erhielt der andere Zwilling eine Phenol-Injektion ins Herz und an beiden wurde eine vergleichende Autopsie vorgenommen." Dabei blieben die Kinder in völliger Unwissenheit, sie wissen bis heute nicht, was damals mit ihnen geschah, was Therapien nach 1945 um so schwieriger machte. Ein Anliegen der Betroffenen an die Forscher ist es deshalb auch, Aufschlüsse über die Art der medizinischen Versuche zu erhalten.

Dass der SS-Arzt Josef Mengele das von dem Anthropologen und Rassenhygieniker Otmar von Verschuer geleitete Dahlemer Institut mit Präparaten, zum Beispiel heterochromen Augenpaaren von Zwillingen, versorgte und Verschuers Mitarbeiter von diesen überaus lebhaften "Geschäftsverbindungen" Kenntnis hatten, ist mittlerweile unbestritten, obwohl die Aktenlage überaus schwierig ist; nicht zuletzt, wie Forschungsleiterin Carola Sachse moniert, aufgrund des schlampigen Umgangs der FU Berlin, die in den achtziger Jahren die Villa am Faradayweg übernahm, mit dem Nachlass. Wie weit diese "Verstrickung" zwischen Biowissenschaft und SS-Staat tatsächlich ging, in welcher Weise die Wissenschaft den Staat legitimierte und umgekehrt der Staat das Expertenwissen missbrauchte, ist in den Einzelheiten noch wenig erhellt.

Beeindruckend blieb der Auftritt von Eva Kor und ihrer Leidensgenossin Jona Laks. Nicht nur verlebendigten Kors Erinnerungen die "Zwillingshölle" in Auschwitz; wohl wissend, dass sie damit auch viel Kritik auf sich ziehen würde, hat sie am 50. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz den Nazis in einer symbolischen Geste persönlich vergeben, in einem Akt der Selbstheilung, wie sie sagt, weil sie nicht länger leiden, nicht ihr ganzes Leben dazu verdammt sein wollte, Auschwitz-Opfer zu sein.

Den Ärzten und Wissenschaftlern gab sie auf den Weg, nie alleine um der Wissenschaft willen zu forschen und damit "die schmale Grenzlinie zu überschreiten in Richtung auf die Nazi-Ärzte und die Dr. Mengeles dieser Welt". Mit seiner Entschuldigung steht Hubert Markl im Wort; nicht nur aufgrund der historischen Verantwortung der durch ihn vertretenen Institution, sondern auch im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen. Und von Markl ist bekannt, dass er beispielsweise der embryonalen Stammzellenforschung durchaus aufgeschlossen gegenüber steht.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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