Es könnte ein Zeichen sein, nach innen und nach außen. Rund 85.000 Menschen mit Behinderung in Vollbetreuung dürfen in Deutschland künftig zur Wahl gehen, nicht nur in den Kommunen und manchen Ländern wie bisher schon, sondern auch im Bund und in der EU. Die Zahl erscheint klein, doch in der EU leben 80 Millionen Menschen mit Behinderung – fast so viele wie die Bundesrepublik Einwohner zählt. Und viele von ihnen haben Interesse an Politik, wollen sich einmischen. So wie Margarete Kornhoff oder Klaus Winkel aus Warburg in Nordrhein-Westfalen, die mit einigen anderen und mit Unterstützung von Behindertenverbänden vor zehn Jahren eine entsprechende Petition auf den Weg gebracht hatten.
Vor zehn Jahren! Man muss die Bitternis schmecken und fühlen, auf der Zunge und in der Seele. So lange dauert es in Deutschland, bis ein offenbar verfassungswidriger Wahlrechtsausschluss, der lange historische Schatten wirft, von obersten Richtern bemängelt wird und die Politik auf Trab bringt. In diesem Fall im Februar 2019, nachdem die Union einen Vorschlag von Fachpolitikern für eine Wahlrechtsänderung monatelang verschleppt hatte. Dabei kann man das in der To-do-Liste des Koalitionsvertrags nachlesen.
Das schließlich vom Bundestag auf den Weg gebrachte Gesetz sollte allerdings erst vom 1. Juli 2019 an gelten. Ein Eilantrag von Grünen, Linken und FDP erzwang wiederum vor dem Bundesverfassungsgericht, dass die Betroffenen auch an der Europawahl teilnehmen dürfen. Auf ausdrücklichen Antrag zwar nur und mit bürokratischen Hürden, aber immerhin. Hätte die Politik frühzeitig die Weichen gestellt, hätten weder Kommunen noch Wahlwillige jetzt derartige Umstände.
In den Parlamenten dieser Republik sitzen kaum Menschen, die jeden Tag Assistenz benötigen, kognitiv beeinträchtigt sind oder andere Barrieren zu überwinden haben. Von politischer Inklusion in diesem Sinne sind wir weit entfernt. Inclusio bedeutet einschließen, aber auch: sich einlassen. Es meint, dass nicht die Mehrheit den Finger hebt und sagt, wo es langgeht, sondern dass man versteht, dass die Bedürfnisse von Minderheiten oder Beiseitegeschobenen Berechtigung haben, sodass kein Viktor Orbán oder andere sich ihrer bemächtigen kann.
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