Wissenschaftsförderung ist Wirtschaftsförderung, könnte der Slogan sein, der sich aus dem Koalitionsvertrag für die künftige Forschungspolitik der schwarz-gelben Regierung destillieren ließe. Gleichgültig, ob es um neue Biotechnologien geht, um Raumfahrt, Nano- oder Kerntechnik: Wohlstand und Wachstum (auch der Forschung) sind von „einer prosperierenden, breit aufgestellten Industrie abhängig“ und von der „Akzeptanz zukunftsweisender Technologien“.
Das überrascht nicht bei einer Regierung, deren Juniorpartner in seinem „Deutschlandprogramm“ betont, Innovationen entstünden nur durch die „Verwertung von Forschungsergebnissen zu Produkten“, und eine „Forschungsfreiheitsinitiative“ anstrebt sowie „Forschungsprämien“ für Hochschulen und Forschungsinstitute, die mit Unternehmen zusammenarbeiten. Die freidemokratische „Anwendungsbezogenheit“ der Wissenschaft und der „Unternehmenstransfer“ finden sich im Koalitionsvertrag wieder und gipfeln in einem Credo, das eher der Fortschrittsgläubigkeit des 19. als der realistischen Skepsis des 21. Jahrhunderts entlehnt ist: „Wir wollen wieder eine optimistische und technik- und innovationsfreundliche Gesellschaft werden.“
Sehr konkret lässt sich das Vertragswerk über den künftigen Innovationsschub nicht aus: Im Bereich der Bio- und Gentechnologie sollen „verantwortbare Innovationspotentiale“ weiter entwickelt werden; die Präventionsforschung wird in Zusammenhang mit der individualisierten Medizin genannt; im Hinblick auf die „ethisch sensible“ Stammzellforschung plant die Bundesregierung einen „Dialog mit allen gesellschaftlichen Gruppen“ und die Einrichtung einer „Dialogplattform ‚Deutsches Stammzellnetzwerk’“.
Gestärkt werden soll auch der „Bürgerdialog“ darüber, wie „Zukunftstechnologien und Forschungsergebnisse zur Lösung der großen globalen und gesellschaftlichen Herausforderungen“ beitragen können. Davon abgesehen, dass sich damit schon die ehemalige Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) wenig überzeugend zu profilieren versuchte, dürfen sich die Bürger und Bürgerinnen also wieder einmal auf Überzeugungs-Kampagnen und den Totalbeschuss durch „Experten“ gefasst machen. Gerade weil die Absichtserklärungen so schwammig daherkommen, ist es zu Beginn der Legislaturperiode vielleicht ganz nützlich, einige der Stichworte aufzugreifen und sie auf Hoffnungen, erwartbares Handeln und absehbare Problemkonstellationen abzuklopfen.
Stammzellforschung
Nach den nicht abreißenden „Durchbrüchen“ der letzten Jahre haben sich die Stammzellforscher inzwischen auf die ausgeweitete Zone des gesetzlichen Status quo zurückgezogen. Die Novellierung des Stammzellimportgesetzes, mit der der Stichtag für zu importierende Stammzellen auf den 1. Mai 2007 verschoben wurde, ist ohnehin nur der unermüdlichen Propaganda der Forschungslobby zu verdanken. Seither lenken die Erfolge bei der Erforschung der rückprogrammierbaren, der so genannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) davon ab, dass Stammzellforscher nach wie vor auf embryonale Stammzellen (ES-Zellen) angewiesen sind. Dies bekräftigte der Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Günter Stock, kürzlich in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, in dem er in Bezug auf ES-Zellen vom „Goldstandard“ sprach, den Begriff „verbrauchende Embryonenforschung“ aber weit von sich wies. Zwar griff Stock, anders als viele seiner Kollegen, das Embryonenschutzgesetz nicht direkt an, doch er hob die Verdienste der standesrechtlichen Selbstüberwachung (Bundesärztekammer, Robert-Koch-Institut) hervor, die schon vor der Existenz des Embryonenschutzgesetzes funktioniert habe. Warum dieses 1990 überhaupt installiert worden war, bleibt offen.
An einer anderen Front kämpfen Stammzellforscher, wo es um Patente bei der Gewinnung von embryonalen Stammzellen geht. Im November ging der Musterprozess von Greenpeace gegen Oliver Brüstle vor dem Bundesgerichtshof in die nächste Runde. Es geht dabei um ein Patent, für das Brüstle 1999 den Zuschlag erhalten hatte, das – nach einer Intervention von Greenpeace – im Jahre 2006 jedoch in maßgeblichen Teilen von den Bundespatentrichtern wieder eingeschränkt worden war. Der BGH hat sich nun auf die Seite des Bonner Forschers geschlagen und die Anwendung des Patents für kompatibel mit den gesetzlichen Grundlagen erklärt. Eine Entscheidung fällte es nicht, sondern übergab den Fall an den Europäischen Patentgerichtshof. Der BGH, monierte die Hamburger Patentexpertin Ingrid Schneider, habe sich „davor gedrückt, eine Entscheidung zu treffen“.
Präimplantationsdiagostik
Der Patentstreit ist eines der Beispiele, bei dem Forscher versuchen, über die Gerichte vollendete Tatsachen zu schaffen, wo sie über den Gesetzgeber nicht weiterkommen. Das Embryonenschutzgesetz empfinden nicht nur Stammzellforscher als hinderlich, sondern auch Fortpflanzungsmediziner, die im Rahmen der In-vitro-Fertilisation Paaren gerne anbieten würden, besonders „geeignete“ Embryonen für die Fortpflanzung auszuwählen. Noch ist die Präimplantationsdiagnostik (PID) in Deutschland verboten, doch es gibt insbesondere bei den Freidemokraten eine starke Fraktion, die diesen „Fortpflanzungswettbewerb“ gerne freigeben würden.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes verhandelt gerade den Fall eines Berliner Reproduktionsmediziners, der sich selbst angezeigt hatte, Embryonen nach genetischen Besonderheiten ausgewählt und damit bewusst gegen das Embryonenschutzgesetz verstoßen zu haben. Mehrmals hat die Justiz versucht, sich aus der Affäre zu ziehen und den Fall zu ignorieren. Dabei war es dem Reproduktionsmediziner gerade darum gegangen, ein Präzendenzurteil zu provozieren, das die Öffentlichkeit erregen und die Politik vor sich hertreiben sollte, das Embryonenschutzgesetz auszuhebeln. Dabei wird in der PID-Diskussion regelmäßig die „medizinische Notwendigkeit“, etwa dass es darum gehe, schwere Geburtsschäden oder gar den Tod nicht lebensfähiger Kinder zu verhindern, eingebracht. Es gibt international inzwischen aber auch mehrere Fälle, wo ein Kind nur deshalb im Reagenzglas gezeugt worden ist, um als Gewebespender für ein Geschwisterkind zu dienen.
Individualisierte Medizin
Wie sich diese gerichtlichen Auseinandersetzungen auf die gesetzgeberischen Impulse auswirken werden, ist derzeit noch nicht abzusehen. Im Rahmen der Gesundheitsforschung kündigt der Koalitionsvertrag an, die Präventionsforschung zu stärken und nennt dabei explizit die so genannte individualisierte Medizin. Darunter versteht man nicht etwa eine besondere ärztliche Zuwendung dem Patienten gegenüber oder Alternativmedizin, sondern es geht um die maßgeschneiderte genetische, molekulare oder metabolische (der Ebene des Stoffwechsels) Anpassung von Therapien, was die präventive und prädiktive Feststellung zum Beispiel des Genomstatus eines Individuums voraussetzt. Mittels Biomarker werden Patienten dann in bestimmte Subgruppen unterteilt: Im Fall von Brustkrebs beispielsweise sprechen nur 20 bis 25 Prozent aller Patientinnen auf das Krebsmedikament „Herceptin“ an. Es geht der individualisierten Medizin also darum, genau diejenige Gruppe herauszufiltern (zu „stratifizieren“), die über den entsprechenden Rezeptor HRE 2 verfügt, der das Medikament zur Wirkung bringt.
Herceptin ist eines der wenigen erfolgreichen Exempel für die Anwendung der individualisierten Medizin; bei komplexeren Volkskrankheiten gelingt es bislang nämlich nicht, die qua Biomarker erfassten Daten klinisch fruchtbar zu machen. Von methodischen Unstimmigkeiten und fragwürdigen prognostischen Aussagen abgesehen, muss sich die individualisierte Medizin aber auch die Frage gefallen lassen, wem sie nützt und welche gesellschaftlichen Folgen sie hat. Von bestimmten ausgewählten Patientengruppen einmal abgesehen, die von ihr profitieren könnten, werden bislang gesunde Menschen qua Screening in potentiell Kranke umdefiniert und am Ende für ihren Gesundheitsstatus verantwortlich gemacht.
Organspende/Sterbehilfe
Pikant angesichts der kürzlich öffentlich gewordenen Schicksale von Wachkoma-Patienten ist die Absicht der neuen Regierung, das Transplantationsgesetz zu überprüfen und der Organspendebereitschaft der Bevölkerung mit „einer umfassenden Kampagne“ aufzuhelfen. Auch im Hinblick auf Patientenrechte und Sterbehilfe ist sie entschlossen, die individuellen Entscheidungsspielräume auszuweiten. Was für den Einzelnen rational und nachvollziehbar erscheinen mag, könnte sich im Zusammenspiel mit den Plänen zur gesetzlichen Gesundheitsversorgung zu einem bedrohlichen Szenario entwickeln. Man muss das böse Wort von der „sozialverträglichen Selbstabschaffung“ gar nicht bemühen, um zu sehen, dass die ökonomisch Bessersituierten vom Ausbau des wachstums- und beschäftungsträchtigen Gesundheitsmarktes profitieren werden, während für den Rest – wenn überhaupt – die „menschenwürdige Hospiz- und Palliativversorgung“ bleibt, um die sich die Regierung bemühen will.
Fazit: Die „neuen Impulse für den Wissens- und Technologietransfer“, „Hightech-Strategie“ und „Förderung der Schlüsseltechnologien“, wie es im Koalitionsvertrag heißt, werden, so lässt sich heute schon vorhersagen, an den unmittelbaren Bedürfnissen vieler Menschen vorbeigehen. Was ihnen nicht zugute kommt, können sie dann in dem in der Hauptstadt geplanten „Haus der Zukunft“ besichtigen, das die deutsche Wissens- und Innovationsgesellschaft werbewirksam vorführen soll. Vorausgesetzt, sie können den Eintritt noch bezahlen.
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