Ist Emanzipation ein Projekt für Eliten?

Frauensache Die "Zeit" feiert die "Feminisierung der Republik", hat dabei aber nur Frauen in Spitzenpositionen im Sinn. Die Discounter-Kassiererin sieht das wohl ein wenig anders
Ist Emanzipation ein Projekt für Eliten?

Illustration: Otto

Zum Jahresausklang feierte die Zeit 2012 gerade noch mal als ein Jahr der Frauen und bemühte dafür sogar die Dialektik. Auf der Ebene der Politik sei Quantität umgeschlagen in Qualität, weil Frauen nicht nur auf allen Machtebenen angekommen seien, sondern – aufgemerkt – inzwischen auch "Diskurs und Stil des Landes" prägten.

Beweiskräftig aufgerufen werden hierfür die weibliche Führungsriege und die "mächtige Quotendiskussion", wobei die selbstbezügliche Kampagne im eigenen journalistischen Stall als besonders hervorhebenswert erscheint. "Tuschelecken", "verschwörerische Blicke und SMS über Fraktions- und Parteigrenzen hinweg" sollen die "unsichtbare weibliche Vernetzung" bestätigen. Haben wir es nun bald mit einer weiblichen Hegemonie in Berlin zu tun? Schafft Frauenmehrheit Frauenmacht? Und dies alles, ohne dass schlecht gelaunte feministische "Heulsusen" mit ihren – igitt! – "behaarten Beinen", die Männer zum Stolpern brächten? Das ist doch wirklich ein Grund zum Feiern.

Zunehmend schlechter gelaunt

Ich bekenne: Ich gehöre zu diesen zunehmend schlechter gelaunten Feministinnen, die es gar nicht komisch finden, dass sich im Jahr 2012 großmäulige Unionspolitikerinnen hinter dem Rücken ihrer Fraktionskollegen versteckten und so gar nichts mehr von einer "starren Quote" wissen wollten. Die es fertig brachten, einen in Europa wohl einmaligen frauenpolitischen Fauxpas namens Betreuungsgeld durchzusetzen. Und die sich, wenn sie einmal etwas Vernünftiges am Wickel haben wie die verbesserte Anrechnung von Kindererziehungszeiten bei der Rente, von ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble sofort wieder in die Haushaltsdisziplin zurückpfeifen lassen.

Etwa zur gleichen Zeit, zu der die Zeit die "Feminisierung der Republik" proklamierte, veröffentlichte die OECD neue Daten über die geschlechtsspezifische Einkommensverteilung in ihren Mitgliedsländern. Und siehe da: In den 34 Staaten rangieren die deutschen Frauen – nach Südkorea und Japan – ganz hinten: Sie verdienen immer noch 21,6 Prozent weniger als Männer in vergleichbaren Jobs, im gebeutelten Griechenland beträgt der Unterschied dagegen nur 9,6 Prozent.

Und je älter die Frauen werden, desto bedrängter wird ihre Situation: Sie beziehen nur halb so viel Rente wie Männer und sind überproportional von Altersarmut bedroht. Ein Grund dafür ist, dass 38 Prozent aller Frauen in Deutschland Teilzeit arbeiten, verbunden mit geringen Aufstiegschancen und ungenügender Altersabsicherung. Das Betreuungsgeld wird daran ganz sicher nichts ändern.

Was gehen Aufsteigerinnen Kassiererinnen an?

Was aber gehen die weiblichen Aufsteigerinnen auch die Frauen an, die an Discounterkassen dafür sorgen, dass die Erfolgreichen rund um die Uhr einkaufen können? Die sich als Kindermädchen um den Nachwuchs oder als Putzfrauen um das gepflegte Wohnumfeld der Vorstandsfrau, der Politikerin oder der Chefredakteurin kümmern? Oder die sich, in den sozialen Unterbau abgedrängt, von Edelmuttis Erziehungsratschläge anhören müssen? Die Gruppe der Frauen, lese ich, sei nämlich "viel zu groß und viel zu heterogen, um gemeinsame Interessen vertreten zu können".

In Indien, dem Land des Femizids und der Grapscher, wehren sich die Frauen gerade gemeinsam gegen die tagtägliche Gewalt. In Ägypten, wo insbesondere die Frauen von der Etablierung eines Gottesstaates bedroht sind, verweigern sie den Urnengang und gehen auf die Straße. In Deutschland dagegen feiern sich die Nachkömmlinge der "Generation Merkel", die nun wieder "ganz verschieden" sein dürfen. Diversity is beautiful. Aber eben nur in den höheren Lagen.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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