Jenseits der Gräben

Betreuungsgeld Die jüngste Studie zum Betreuungsgeld überrascht so wenig wie die darauf erfolgten Reaktionen. Doch lassen die vielen Kommentatoren essenzielle Tatsachen außer Acht
Ausgabe 31/2014
Die Studie des Deutschen Jugendinstituts und der TU Dortmund lieftert wenig Überraschendes
Die Studie des Deutschen Jugendinstituts und der TU Dortmund lieftert wenig Überraschendes

Foto: Philipp Gueland / Getty Images

Ideologischer Aufmarsch, der jüngste: Angetreten sind wieder einmal die Gegner und Befürworter des Betreuungsgelds, wobei sich das Kampfarsenal Ersterer nun verstärkt hat durch eine neue, zum 1. August 2014 punktgenau platzierte Studie des Deutschen Jugendinstituts und der TU Dortmund. Sie besagt, dass weniger bemittelte Familien und insbesondere Alleinerziehende das Betreuungsgeld eher in Anspruch nehmen als besser Qualifizierte und Akademiker, die – sei es aus beruflichen Gründen oder in wohlmeinendem pädagogischen Gehorsam – ihre Kinder lieber in die Kita schicken.

Wer hätte das gedacht! Und kaum überraschend ist auch, dass der Anteil der Migranten unter den Empfängern des Betreuungsgelds noch einmal signifikant höher ist, und in Bayern mehr Frauen (und ein paar Männer?) zu Hause bleiben als in Berlin oder Brandenburg. Auch das überrascht nicht wirklich.

Eltern von Kindern, die den 15. Lebensmonat vollendet haben und weder zur Tagesmutter noch in eine Kita geschickt werden, haben seit 1. August 2013 Anspruch auf 100 Euro Betreuungsgeld, das sich nun noch einmal um 50 Euro erhöht. Herausgeschmissenes Geld und Schaden am Nachwuchs, sagen die Kritiker, denn es würde ausgerechnet den Kleinkindern die gemeinschaftliche Förderung vorenthalten, die sie am nötigsten hätten. 54 Prozent aller Eltern mit Hauptschulabschluss oder ohne Berufsausbildung, so die repräsentative Studie, nennen das Betreuungsgeld als Grund, ihre Kinder zu Hause zu behalten. Als einen „ideologischen Tiefschlag“ bewertet die CSU in Bayern diesen Angriff.

Das Betreuungsgeld ist, weitab von allen ideologischen Gräben, eine Form sozialstaatlicher Alimentierung. Dass es von Eltern mit geringen Ressourcen mehr nachgefragt würde, war vorauszusehen, denn in deren Geldbeutel machen 100 oder 150 Euro einen Unterschied. Ob das Geld nun versoffen wird, wie pädagogische Oberaufseher vermuten, oder es einfach nur dringlich in der Haushaltskasse benötigt wird, steht dahin. Aber alle die Kommentatoren, gleich welchen Geschlechts, die schon immer wussten, dass das Betreuungsgeld Mist und kollektive Erziehung förderlich ist, seien an ein paar Tatsachen erinnert.

Vor wenigen Tagen stellte die Bertelsmann-Stiftung in einer anderen groß angelegten Studie fest, dass in Deutschland immer noch 120.000 Erzieherinnen und Erzieher fehlen und am 1. März 2014 nur 662.000 der gesetzlich geforderten 750.000 Betreuungsangebote für unter Dreijährige zur Verfügung standen. Ganz abgesehen davon, dass der aktuelle Personalschlüssel in den Kindertagesstätten wahrlich keine Traumnoten erreicht.

Eine weitere Studie des Deutschen Jugendinstituts besagt, dass Eltern, die ihre Kinder in die Kita zur Betreuung schicken, zwar von Gebühren befreit werden beziehungsweise gestaffelt nach Einkommen zahlen, aber andere Beiträge – für Mittagessen, Materialien oder Ausflüge – so stark ins Gewicht fallen, das von „einer sozial gerechten Beitragsstaffelung nicht mehr gesprochen“ werden könne. Die Abschaffung des Schulgelds war einmal ein Meilenstein der Bildungspolitik. Weshalb eigentlich werden Eltern für die frühkindliche Erziehung überhaupt noch zu Kasse gebeten?

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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