Kaffeekochen war nicht

Interview Die Aktivistinnen in den 1960ern sahen sich nicht primär als Frauen, sondern als politische Menschen mit weiblichem Geschlecht, sagt die Zeitzeugin Schunter-Kleemann
Ausgabe 21/2018

Ich kenne Susanne Schunter-Kleemann seit drei Jahrzehnten, wir hatten immer wieder miteinander zu tun, uns aber noch nie persönlich getroffen. Als ich ihr in ihrer lichtdurchfluteten Wohnung im Ostertor-Viertel in Bremen erstmals begegne, erleben wir spontane Nähe. Zwischen den Gemälden ihres Ex-Mannes, eines Kunstmalers, und ihren eigenen Bildern als „spätberufene Autodidaktin“, wie sie sagt, erzählt sie mir davon, dass sie gerade von einer von ihr mitbestückten Ausstellung über APO-Frauen in Bielefeld zurückgekehrt ist. Wir beschließen, auch für dieses Interview beim Du zu bleiben.

der Freitag: Susanne, wie erklärst du dir, dass bislang immer Männer die Erinnerung über 1968 dominiert haben? Warum hat es 40, 50 Jahre gedauert, um den weiblichen Anteil an ’68 sichtbar zu machen?

Susanne Schunter-Kleemann: Weil die Geschichtsschreibung noch immer nur das männliche Geschlecht fokussiert, leider auch seitens vieler Historikerinnen. Außerdem sind die an 1968 beteiligten Frauen nicht so als Selbstdarsteller unterwegs, und sie sind auch nie davon ausgegangen, zu dieser Form von Selbstbeweihräucherung beitragen zu müssen.

Das hat auch mit Deutungshoheit zu tun ...

Ja, viele aus 1968 hervorgegangene Historiker wie Tilman Fichter, Wolfgang Kraushaar oder Götz Aly hatten immer nur ihre Geschlechtsgenossen im Blick. Bei Fichter und Siegward Lönnendonker ist es geradezu absurd, denn die hatten ja mit den Berliner Protagonistinnen zu tun. 1967 war Sigrid Rüger, die damals die studentische Vertreterin im Akademischen Senat war, das berühmte Teach-in an der FU moderierte und später die Tomate geworfen hat, viel bekannter als etwa Rudi Dutschke. Auch Sigrid Fronius, die erste weibliche AStA-Vorsitzende in Deutschland, war sehr bekannt. Mit beiden habe ich mehrere Jahre zusammengewohnt.

Du gehörst zum Jahrgang 1942 und bist in Berlin geboren. Es war für Mädchen deines Jahrgangs gar nicht selbstverständlich, zu studieren.

Ich bin zwar in Berlin geboren, aber nicht dort aufgewachsen. Wir sind evakuiert worden, zunächst nach Oberfranken, dann nach Hessen. Mein Vater war Jurist und führte mit seinem Studienfreund ein elektromedizinisches Unternehmen. Meine Mutter kam aus einer hanseatischen Familie und hätte das Zeug zum Studieren gehabt. Ich glaube, sie wäre gerne Journalistin geworden. Insofern haben meine Eltern nicht nur meine vier Brüder, sondern auch mich sehr gefördert.

Zur Person

Susanne Schunter-Kleemann, Jahrgang 1942, ist Sozial- und Politikwissenschaftlerin. Bis 2006 lehrte sie an der Universität Bremen und war dort Mitbegründerin des Frauenforschungsschwerpunkts. Als frühe Kritikerin des „Herrenhauses Europa“ engagierte sie sich kurz in der PDS. Mit Cohnitz & Company – Lebenswege einer rheinischen Kaufmannsfamilie (1750 – 1950)“ erzählte sie 2014 die Geschichte ihrer Familie

Wie ging es dir, nachdem du 1963 von Marburg kamst?

Ich hatte an der FU Seminare über Koryphäen wie Durkheim, Simmel oder Adorno belegt, aber überhaupt keine Ahnung von den politischen Strukturen der Bundesrepublik und wenig verstanden. Im Bus kam ich mit einem SDS-Studenten ins Gespräch, dem gegenüber ich mein Unbehagen geäußert habe. Der lud mich ein, zum SDS zu kommen, ich ging mit und fühlte mich fortan dort gut aufgehoben. Dort saßen ältere Studierende, mit denen ich auch in den Seminaren saß, Leute wie Claus Offe und Ulrich Preuß. Der SDS und auch der Argument-Kreis beeinflussten mein Weltbild, das war lange Zeit meine Heimat.

Bevor wir zum SDS zurückkommen: Von der 68er-Generation wird gesagt, sie sei auch durch das Schweigen der Elterngeneration über die Naziverbrechen politisiert worden. Spielte das für dich eine Rolle?

Ich hatte immer das Gefühl, mit meinen Eltern alle politischen Probleme bereden zu können. Erst viele Jahrzehnte später ist mir klargeworden, dass mir meine Mut-ter die NS-Verstrickung ihres Vaters und anderer Verwandter verschwiegen hat. 1965 habe ich bei Reinhard Strecker, dem Organisator der Ausstellung Ungesühnte Nazijustiz, an der Aufarbeitung der NS-Karrieren von Juristen mitgearbeitet und ihr das auch in einem Brief geschrieben. Aber erst 50 Jahre später sah ich ein Bild meines Großvaters mit Adolf Hitler. Meine Mutter hatte mir das verschwiegen. Seitdem verfolgt mich das Thema, in den letzten Jahren habe ich mich deshalb intensiv mit meiner Familiengeschichte, in der es auch jüdische Wurzeln gibt, beschäftigt.

Du hast eben im Zusammenhang mit dem SDS von „Heimat“ gesprochen. Es wird oft kolportiert, Frauen seien dort nur Kaffeekocherinnen, Tippsen oder Betthäschen gewesen?

Das ist in der Tat ein strittiges Thema, ich habe immer wieder gegen diese Sicht gehalten. Im Westberliner SDS wurde im Übrigen nie Kaffee getrunken, sondern nur geraucht, es war eine schreckliche Räucherhöhle. Ich habe also für niemanden getippt oder Kaffee gekocht, und ich bin auch nicht in irgendwelchen Betten gelandet, in denen ich nicht hätte sein wollen. Ich bin von allen Seiten gefördert und geschätzt worden und habe mich nie wieder einem Verein so zugehörig gefühlt.

Wie erklärst du dir dann die anderweitigen Sichten?

Ich glaube, da sprechen verschiedene Generationen von Frauen. Der SDS war zunächst ein, und das meine ich positiv, elitärer Verein, der sich erst 1967/68 stark verbreitert hat. Viele Frauen stießen in dieser Zeit dazu und waren nur kurz dabei. Das Bild über die unterdrückten Frauen im SDS entstand eigentlich erst nach der Rede von Helke Sander auf dem SDS-Kongress 1968 und Sigrids berüchtigtem Tomatenwurf und wurde vor allem von den Medien in die Welt gesetzt und dann leider von vielen Feministinnen übernommen. Helke als Nicht-Delegierte wollte eigentlich nur einen Diskussionsraum für Themen wie die Kinderfrage eröffnen. Die Frauen waren, so wurde mir erzählt, sehr verärgert, dass sie an dieser Stelle nicht reden durften, aber als Opfer hat sich keine gefühlt.

Du warst damals gar nicht dabei?

Nein, ich habe Examen gemacht, aber meine Freundin Sigrid Rüger hat es mir so erzählt. Im Zuge der neu entstehenden Frauenbewegung rückten dann plötzlich Frauen als Opfer männlicher Gewalt thematisch in den Mittelpunkt, und es gab immer mehr Differenzen zwischen den Frauen, auch das hat meines Erachtens zu dieser falschen Wahrnehmung des Geschlechterverhältnisses im SDS geführt. Grundsätzlich kann man sagen, spielte die Geschlechter-problematik im SDS in den 1960er Jahren keine Rolle, im Westberliner SDS waren 1963 zwei Frauen im Vorstand. Wir haben uns damals nicht primär als Frauen gesehen, sondern als politische Menschen weiblichen Geschlechts.

Damals lebtest du schon in der Kommune I ...

Ich lebte überhaupt nie richtig in der Kommune I, das wird leider so kolportiert. Ich war an Fritz Teufel interessiert, ich kannte ihn gar nicht gut und sah sein hübsches Bild in der Zeitung. Da war er in Zusammenhang mit dem Schah-Besuch schon verhaftet worden und saß im Gefängnis. Ich hatte mich am Hungerstreik der Evangelischen Studentengemeinde beteiligt und wollte ihn irgendwie unterstützen. Also schrieb ich ihm einen Brief, richtig Tröstliches fiel mir nicht ein, also schickte ich ihm einen mütterlich-schwesterlichen Kuss durch die Gefängnismauern. Das hat ihm wohl so gefallen, dass er mir zurückschrieb, und als er kurz vor Weihnachten 1967 aus dem Gefängnis kam, saßen wir im Audimax auf seiner Begrüßungsfeier zusammen, da fing die Liebelei an. Ich war dann öfters in der K I, habe dort übernachtet und mir Meriten erworben, auch weil ich für 15 Leute eine Gans braten konnte. Ich musste mich aber auch oft verspotten lassen dafür, dass ich nicht mit meiner sogenannten bürgerlichen Existenz brechen wollte, etwa wenn ich morgens ins Institut für Bildungsforschung abgezogen bin. Als ich im März ’68 von einer Vietnamdemonstration aus London zurückkam, lag Fritz mit einer anderen Frau im Bett. Das war’s dann. Aber ich war schon vorher, was die K I betrifft, desillusioniert.

Warum?

Es war immer viel Geld da. Das Geld kam von den Medien, die große Summen über den Tisch geschoben haben, um in der K I ein und aus gehen zu dürfen. Das war eine richtige Symbiose. Mittags wurden die nächsten Aktionen geplant, die abends durchgeführt wurden, oder man wurde von irgendwelchen Presseleuten eingeladen. Die Art, wie sich die K I vermarktet hat, stieß mich ab, die Provokationen und das Theatralische dagegen fand ich teilweise witzig und faszinierend.

Die von der Kommune propagierte „freie Liebe“ war aber nicht so deine Sache?

Nein, überhaupt nicht. Ich lag zwar, weil ich damals keinen festen Freund hatte, mit guten Freunden mal im Bett, und wenn es schön war, auch mehrmals, aber es war kein Programm.

Habt ihr etwas mitbekommen von der Debatte über die „Kinderfrage und den Aufbau der Kinderläden“, die der Aktionsrat für die Befreiung der Frau auf die Agenda gehoben hatte?

Die ersten Debatten über die Kinderläden liefen parallel zum Berliner Vietnam-Kongress im Januar und Februar 1968. Das war eine ganz praktische Frage, die Frauen wollten gerne teilnehmen, hatten aber niemanden für die Kinder. Ich war in dieser Zeit schon mitten im Examen und war auch keine Mutter, das ist an mir vorbeigelaufen. Ich habe mich mit der Kinderladenfrage erst ab 1972 befasst, als ich selbst Stiefmutter wurde und anfing, die Texte zur antiautoritären Erziehung zu lesen.

Viele Frauen haben sich damals sukzessive aus den Männerzusammenhängen zurückgezogen und eigene Gruppen gegründet. Du hast 1969 dein Studium abgeschlossen, 1971 geheiratet. Wie entwickelte sich das bei dir?

Ich gehöre zu denjenigen, die zu der 1970 gegründeten maoistischen KPD / AO gegangen sind (K-Gruppe, die eine revolutionäre KPD gründen wollte/die Red.). Insofern war die Zusammenarbeit mit Männern für mich selbstverständlich. Ich hatte mich der KPD / AO aber weniger wegen des Programms angeschlossen als wegen meiner Freundinnen und Freunde, von denen viele dabei waren und weil es mir nach der Auflösung des SDS 1969 eingeleuchtet hat, dass eine neue Organisation kommen muss. In der Folgezeit ging es dann darum, Betriebszellen zu grün-den und dort zu agieren. Da habe ich die Reißleine gezogen, bin ausgestiegen, ich wollte nicht über mich bestimmen lassen. Ich musste die Familie über Wasser halten, mein Mann war ja Maler. Aber ich hatte lange das Gefühl, politisch versagt zu haben.

Könnte man sagen, du hast den „Marsch durch die Institutionen“ angetreten?

Ja, das kann man schon sagen, auch wenn ich das nicht unbedingt als Ziel verfolgt habe, es hätte mich auch ganz woandershin verschlagen können, zum Beispiel nach China, ich hatte im Rahmen des DAAD ja noch einmal ein Chinesisch-Studium begonnen. Wenn ich nach meiner Anhörung (im Rahmen des Radikalenerlasses / die Red.) die Hochschullehreinnenstelle nicht bekommen hätte, wäre ich 1976 nach China gegangen.

Der Historiker Norbert Frei hat die Frauenbewegung das „wichtigste Zerfallsprodukt der Studentenbewegung“ genannt. Teilst du diese Einschätzung?

Hättest du mich 1980 gefragt, hätte ich dem zugestimmt. Heute sehe ich den Stand der Frauenbewegung sehr viel kritischer, trotz Kampagnen wie #metoo. Das ist sicher ein wichtiger Aufschrei, aber solche Aufschreie hat es früher auch schon gegeben. Aber die wesentlichen strukturellen Gewaltverhältnisse, denen Frauen unterliegen, haben sich kaum verändert, gerade im Hinblick auf prekäre Arbeitsverhältnisse, Lohndiskriminierung oder Altersarmut. Ich denke, die Frauenbewegung ist weitgehend instrumentalisiert und integriert worden und spielt als gesellschaftsverändernde Bewegung inzwischen keine bedeutende Rolle mehr.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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