Kalkulierte Demütigung

Gender In Frankreich erhitzt der Burkini weiter die Gemüter. Mit den Rechten von Frauen hat es aber nichts zu tun, wenn ihnen vorgeschrieben wird, was sie zu tragen haben
Ausgabe 35/2016
In Australien können Burkinis lebensrettend sein
In Australien können Burkinis lebensrettend sein

Foto: Matt King/Getty Images

Wer es immer noch nicht kapiert hat, weiß es spätestens seit dem Krieg um den Burkini: Burka und Nikab sind Symbole der Unterdrückung – und während ein Hidschab noch hingenommen wird, gerät der muslimische Ganzkörperanzug, im Wasser getragen, zum Stein des Anstoßes. Der Burkini, erfunden, um Muslimas am Strandleben teilhaben zu lassen, ist in die Zone öffentlicher Sicherheitsbedrohung gerückt.

In Nizza, wo die Nerven seit dem Anschlag am 14. Juli blank liegen, hat eine friedlich am Strand liegende Muslima einen Sturm ausgelöst, der vergleichbar ist mit dem Skandal, den George Sand entfachte, als sie, allen Dekreten Napoleons zum Trotz, im Winter 1838/39 in Mallorca mit Hosen durch die Straßen lief. Mehrere bewaffnete Polizisten forderten die Frau vor aller Augen auf, ihren „muslimischen Überwurf“ auszuziehen, weil sie die „guten Sitten“ und das Prinzip des Laizismus verletze. Außerdem soll sie 38 Euro dafür bezahlen, die französische Leitkultur herausgefordert zu haben. Dass die Frau gar keinen Burkini trug, sondern ein langärmliges Oberteil, fiel den meisten gar nicht auf.

Dieser Akt kalkulierter Demütigung ist kein Einzelfall in Frankreich, an anderen Stränden ereignet sich Ähnliches, sodass verhüllte Muslimas inzwischen in italienische Badeorte ausweichen. Mit Bußgeldern versuchen die französischen Behörden den Laizismus zu verteidigen. Und wie im Krieg sind Frauen das Unterpfand. Inzwischen hat das französische Verwaltungsgericht das Burkini-Verbot zumindest für die Stadt Villeneuve-Loubet aufgehoben. Es sieht elementare Grundrechte verletzt und folgte damit dem Antrag von zwei Menschenrechtsorganisationen.

Wie die Religionswächter

Das kümmert aber weder die betroffenen Bürgermeister, die ankündigten, am Verbot festzuhalten, noch die Konservativen und den Front National, die nun versuchen, eine gesetzliche Kleiderordnung durchzudrücken. Wie die muslimischen Religionswächter wollen sie nur mit umgekehrten Vorzeichen darüber verfügen, was Frauen verhüllen dürfen und was entblößt sein muss. Es ist aber eben dieser männliche Blick auf den Körper der Frau, der diese in Besitz nimmt. Das gilt für alle Kulturen, gerade auch die westliche.

Kleidervorschriften zu unterlaufen, war immer ein Akt weiblicher Subversion. Ein Blick auf die Bademode des 19. Jahrhunderts zeigt den langen Weg vestimentärer Emanzipation. Nur: Auch der Bikini hat Frauen nicht in Chefetagen gebracht, sondern höchstens auf Magazintitelseiten, den männlichen Blicken ausgesetzt.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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