Wer es immer noch nicht kapiert hat, weiß es spätestens seit dem Krieg um den Burkini: Burka und Nikab sind Symbole der Unterdrückung – und während ein Hidschab noch hingenommen wird, gerät der muslimische Ganzkörperanzug, im Wasser getragen, zum Stein des Anstoßes. Der Burkini, erfunden, um Muslimas am Strandleben teilhaben zu lassen, ist in die Zone öffentlicher Sicherheitsbedrohung gerückt.
In Nizza, wo die Nerven seit dem Anschlag am 14. Juli blank liegen, hat eine friedlich am Strand liegende Muslima einen Sturm ausgelöst, der vergleichbar ist mit dem Skandal, den George Sand entfachte, als sie, allen Dekreten Napoleons zum Trotz, im Winter 1838/39 in Mallorca mit Hosen durch die Straßen lief. Mehrere bewaffnete Polizisten forderten die Frau vor aller Augen auf, ihren „muslimischen Überwurf“ auszuziehen, weil sie die „guten Sitten“ und das Prinzip des Laizismus verletze. Außerdem soll sie 38 Euro dafür bezahlen, die französische Leitkultur herausgefordert zu haben. Dass die Frau gar keinen Burkini trug, sondern ein langärmliges Oberteil, fiel den meisten gar nicht auf.
Dieser Akt kalkulierter Demütigung ist kein Einzelfall in Frankreich, an anderen Stränden ereignet sich Ähnliches, sodass verhüllte Muslimas inzwischen in italienische Badeorte ausweichen. Mit Bußgeldern versuchen die französischen Behörden den Laizismus zu verteidigen. Und wie im Krieg sind Frauen das Unterpfand. Inzwischen hat das französische Verwaltungsgericht das Burkini-Verbot zumindest für die Stadt Villeneuve-Loubet aufgehoben. Es sieht elementare Grundrechte verletzt und folgte damit dem Antrag von zwei Menschenrechtsorganisationen.
Wie die Religionswächter
Das kümmert aber weder die betroffenen Bürgermeister, die ankündigten, am Verbot festzuhalten, noch die Konservativen und den Front National, die nun versuchen, eine gesetzliche Kleiderordnung durchzudrücken. Wie die muslimischen Religionswächter wollen sie nur mit umgekehrten Vorzeichen darüber verfügen, was Frauen verhüllen dürfen und was entblößt sein muss. Es ist aber eben dieser männliche Blick auf den Körper der Frau, der diese in Besitz nimmt. Das gilt für alle Kulturen, gerade auch die westliche.
Kleidervorschriften zu unterlaufen, war immer ein Akt weiblicher Subversion. Ein Blick auf die Bademode des 19. Jahrhunderts zeigt den langen Weg vestimentärer Emanzipation. Nur: Auch der Bikini hat Frauen nicht in Chefetagen gebracht, sondern höchstens auf Magazintitelseiten, den männlichen Blicken ausgesetzt.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.