Kampf ums Herz

Zürcher Transplantations-Krimi Warum musste Rosmarie V. sterben?

Es ist kaum ein halbes Jahr her, dass drei Menschen ihr Leben lassen mussten, das wiederum den Tod eines Anderen voraussetzt: Die Rede ist von den drei Opfern, die nach der Übertragung eines mit Tollwut infizierten Organs starben. Zu den rituellen öffentlichen Übungen gehört dann der Ruf nach "Aufklärung", als ob diese die Menschen wieder lebendig machen könnte.

Ein Kabinettstück dieser Art lässt sich derzeit in der Schweiz verfolgen. Dort starb im April 2004 die Patientin Rosmarie Voser nach einer Herztransplantation am Zürcher Universitätsspital, weil - so schien es zunächst - versehentlich die Blutgruppe der Patientin vertauscht und das implantierte Organ abgestoßen worden war. Brisant war der Fall schon damals, weil die Patientin während der Wartezeit auf das Herz von einem Filmteam begleitet wurde und die damit verbundene Unruhe möglicherweise zu dem folgenreichen Irrtum geführt haben könnte.

Die mit der Untersuchung des Falles beauftragte Staatsanwaltschaft ermittelte über ein Jahr, ohne konkrete Ergebnisse vorzulegen. Auch die Verantwortlichen der Klinik hüllten sich in Schweigen, bis schließlich Journalisten den Fall recherchierten und der Verdacht aufkam, dass der Patientin gar nicht irrtümlich, sondern bewusst ein "falsches", das heißt unverträgliches Herz eingepflanzt worden war. Die Zürcher Staatsanwaltschaft sah sich Mitte Juni schließlich veranlasst, die Ermittlungen auf den Tatbestand der "eventualvorsätzlichen Tötung" auszudehnen. In Verdacht steht der mittlerweile in Ruhestand getretene Herzchirurg Marko Turina und das in der betreffenden Nacht diensthabende Team.

Doch was könnte einen international renommierten Herzspezialisten bewogen haben, ein Experiment anzuordnen, das bewusst das Leben einer Patientin aufs Spiel setzt und deren Tod billigend in Kauf nimmt? Wollte sich eine medizinische Koryphäe noch einmal ein Denkmal setzen, indem sie bewies, dass ein eigentlich inkompatibles Herz zum Schlagen zu bringen ist? Oder steht der Zürcher Transplantations-Krimi in Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um konkurrierende Medizinstandorte, Berufungspraxen und politische Seilschaften?

Auffällig ist jedenfalls, dass zu der Zeit, als der unglücklichen Rosmarie Voser ein "falsches" Herz verpasst wurde, in der Schweiz der Kampf um den Zuschlag für Herztransplantationen tobte. Auch die Schweiz beabsichtigt, die Spitzenmedizin auf Kompetenz-Zentren zu konzentrieren. Beim Standortgerangel geriet das Zürcher Unispital zunehmend ins Hintertreffen und war im Begriff, die renommeeträchtigen Herztransplantationen zu verlieren. Zwischen Bern und Zürich begann eine absurd anmutende Abwerbekampagne um den Starchirurgen Thierry Carrel: Bern wollte ihn halten, um den "Standort" zu verteidigen, Zürich den "Standort" erhalten, indem es Carrel als Nachfolger für Turina ins Rennen schickte. Carell blieb schließlich in Bern, und in Zürich gibt es, seitdem der "Fall Voser" öffentlich wieder aufgerollt wird, Ärger um die "intransparenten" Berufungsverfahren von Medizinprofessoren, die "immer noch im System der alten Seilschaften" durchgeführt würden, wie die grüne Zürcher Gesundheitsdirektorin Verena Diener kritisiert. Bis der "Fall Voser" geklärt ist, wird es in Zürich keine Herzverpflanzungen mehr geben.

Ob die verpfuschte Herzoperation in ursächlichem Zusammenhang mit dem Standort-Wettstreit steht und Turina Zürich mit einer "sensationellen" Aktion, die erhebliche Auswirkungen auf den "Organmarkt" gehabt hätte, in die medizinischen Schlagzeilen bringen wollte, wird wohl nie mehr aufzuklären sein. In Bern immerhin war Jahre zuvor - allerdings unter völlig anderen Umständen - etwas Ähnliches geglückt. Die Zürcher Transplantations-Posse, die für die Patientin zur Tragödie wurde, weist jedoch weit über den lokalen Anlass hinaus. Wissenschaft - und insbesondere Spitzenmedizin - in Verbindung mit Marktprinzipien ist ein gefährliches Amalgam. Dass die Medizin seit ihrer Entstehung mit Menschen experimentiert, ist wahrlich nichts Neues. Aber wenn diese Experimente nicht der medizinischen (die sich ebenfalls kritisieren ließe), sondern vorab der ökonomischen Vernunft gehorchen, dann möchte man sich mit Hans Jonas wünschen, keinem Arzt zu begegnen, der einem zum Henker wird.


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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