Kanzler-Bote

EINSTAND UND AUSSTAND Kulturstaatsminister Nida-Rümelin auf dem erodierten Politikfeld des christlichen Abendlandes, von dem Andrea Fischer nun abtritt

Der eine, nach links schon ein wenig aus dem Zentrum driftend, doch gewohnt souverän in die Kamera lächelnd; der andere, schlank-hochgewachsen von rechts heranrückend, ebenfalls lächelnd: doch die Äuglein leicht verrutscht nach unten hin zum Zentrum. Dort steht der Kanzler, bildfüllend klein-kompakter Mittelpunkt. Das Kinn etwas aufgereckt, Größe mimend und mit beiden Händen den einen und anderen fassend: Heftklammer und Reißwolf in einem, so präsentiert sich Gerhard Schröder mit seinem scheidenden und seinem kommenden Kulturstaatsminister. Kein Zweifel, wer hier das Heft in der Hand hält, während andere Bücher lesen.

Viel ist geschrieben worden über Michael Naumann, seine intellektuelle Aura und Arroganz. Der "globale Kulturbotschafter" wird nun abgelöst von einem reitenden Boten aus München, der die Berliner Republik, statt in "Komponentenkultur" zu zerstreuen, philosophisch erden soll, praktisch vernünftig und um Himmels Willen nicht geschichtsspekulativ grundiert. Der philosophische Sündenfall von 1989 steckt tief in den Knochen.

Dass man ihn in der Hauptstadtpresse schon vor der Zeit als "auffällig unauffällig" anhämelte, mochte Julian Nida-Rümelin gekränkt haben, und so sprang er dem Kanzler zur Seite, als dieser öffentlich "ideologische Scheuklappen" monierte in einer Debatte, von der er sichtlich wenig Ahnung hat. Zur "Chefsache" erklärt, hat sich Schröder die Biotechnologie schon seit längerem an die Brust genommen, doch - vielleicht nur, um seinem Freund Tony Blair Schildschutz zu geben und nicht als "Weichei" vor den ethischen "Bedenkenträgern" dazustehen - war es erst die britische Unterhausentscheidung für das so genannte therapeutische Klonen, die ihm das Visier öffnete: Die Republik möge zur Kenntnis nehmen, dass er für disputierendes Aussitzen kein Verständnis und keine Zeit habe. Das war nicht nur ein deutlicher Abpfiff gegenüber seiner Gesundheitsministerin, die sich zeitgleich gerade im politischen Separatorenfleich verhedderte, sondern auch Anpfiff für seinen Einflüsterer in spe.

Also nahm der gelernte Philosoph, der bis 1993 die erste deutsche Professur für Bio-Ethik bekleidete, die Gelegenheit wahr und dozierte im Kulturteil des Berliner Tagesspiegel ex cathedra über Menschenwürde und Selbstachtung. Dem in der verbrauchenden Embryonenforschung anfallenden "Material" sprach Nida-Rümelin die erstere ab, weil letztere nicht verloren gehen könne: Menschenwürde nämlich, so der Kulturstaatsminister, setze voraus, dass einem menschlichen Wesen "seine Selbstachtung genommen werden kann", was für Embryonen, so das Resultat seiner erfahrungsgesättigten "praktischen" Überlegungen, nicht zuträfe.

Was den Philosophen Nida-Rümelin, der erklärtermaßen dem philosophischen "Priesterstand" den Kampf anzusagen gedenkt, dann dazu hingerissen haben mag, dieses zweifelhafte Bekenntnis, als "zweifelsfrei" zu etikettieren, liegt im Dunkel. Dieses "zweifellos" war es dann auch, das den kaum gekürten Staatsminister binnen Tagesfrist aufs politische Schafott brachte: In seiner publizistischen Sonntagspredigt geißelte Wolfgang Schäuble süffisant den zum Politiker gefallenen Philosophenengel, während sein Parteikollege Hubert Hüppe dem "Staatsminister für Unkultur" zum Amtsantritt gratulierte.

Man könnte allerlei zu dieser christdemokratischen Götterdämmerung in Sachen Menschenwürde bemerken, denn das "unkonditionierte" Lebensende, das Schäuble wortreich zelebriert, war der Union nicht heilig, als sie vor gut drei Jahren im Transplantationsgesetz das fragwürdige "Hirntod"-Kriterium abnickte.Von derlei politisch motivierten Heucheleien abgesehen, hat es die Union in Sachen Biotechnologie derzeit jedoch einfacher als die SPD: Obwohl der von Merkel hochgelobte Ex-Forschungsminister Rüttgers statt Inder deutsche Biotechnologen auf den Weg zur Weltspitze brachte, schlägt die Bundesvorsitzende wie kürzlich anlässlich einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung einfach ihren Wertekatalog auf und sinniert über die Grenzen des freien Willens und des frei flottierenden Wissens.

Dass sie sich dabei schon seit längerem der grünen Gesundheitsministerin nähert und ihrem politischen Tross Nachdenkliches ins Tagesgepäck gibt, sollte sie nicht kompromittieren. In die bioethische Diskussion der CDU ist Bewegung gekommen, nicht zuletzt, weil es bei den hemdsärmeligen Versuchen am Mensch ums Eingemachte der Partei geht: Zur Disposition steht nämlich nichts Geringeres als das christlich-abendländische Menschenbild.

Entdeckt haben diesen Wertekonservativismus mittlerweile auch Teile der Grünen, für die Andrea Fischer stellvertretend steht. Waren es tatsächlich nur die madigen Rindswürste, die der Gesundheitsministerin zum Verhängnis wurden und am Dienstagabend zu ihrem überraschenden Rücktritt führten, oder - in der Sache - ein wenig auch dieses heimliche tête-à-tête mit den Christdemokraten? Keinen Zweifel ließ die Ministerin in den vergangenen Monaten daran, dass sie auf des Kanzlers Königsweg in die von ihm kreditierte Biotech-Gesellschaft zumindest die Rolle der Abbremserin spielen wollte.. Dass Schröder nicht nur die Frau, sondern auch der Zuschnitt des gesamten Ressorts nicht passte, kursiert schon seit geraumer Zeit.

Wie viel Selbstbestimmung verträgt die Bürgergesellschaft, ohne an ihrer Freiheit zu kollabieren? Politisch einer eher diffus formatierten, doch entscheidungsfähig gedachten Zivilgesellschaft und dem technischen Fortschritt verpflichtet, ist die SPD jedenfalls viel ansprechbarer für die Offenbarungen und Entlastungsversprechen aus den gentechnologischen Labors, die glauben machen, für die Gebrechen der Welt - sei es Krankheit, Welthunger oder Kriminalität - das entsprechende Gen bereit zu haben. "Die Evolution in unserer Hand" titelte FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher sinnfällig diesen Wunsch des selbstmächtigen Individuums, das sich weder von transzendenten Orientierungen gefesselt sehen will, noch von den Direktiven der Politik.

Zu den Grundirrtümern dieser Politik gehört es indessen, von der Biologie Antworten auf Menschheitsfragen zu erwarten. Der "genetische Determinismus" wird am nachhaltigsten von der Wissenschaft selbst dementiert, doch er wird behauptet, um politischen Determinismus zu begründen, der schlichte Gangsterlogik nur verdeckt: Wenn wir das Mögliche nicht tun, tun es die Anderen, heißt es nicht selten, mit Blick über den Kanal. Dieser krude politische Dezisionismus findet publizistisch seinen Niederschlag, wenn etwa ultimative Entscheidungen, etwa die zwischen "Eizelle oder Mensch" annonciert werden. Von wem, Herr Schirrmacher, sollte, bitte schön, die Eizelle stammen?

Man hätte sich von einem philosophisch versierten Staatsminister, für den "Kultur" sicher nicht an der Opernpforte endet und der seinen wissenschaftlichen Namen einer konsequenten Kritik eines falschen "Konsequentialismus" verdankt, gewünscht, dass er derlei Verwirrspiele zumindest begrifflich löst. Doch sein erster Ritt von der Isar an die Spree gleicht dem über den Bodensee: Offenbar hat des Kanzlers philosophischer Bote noch nicht einmal gemerkt, dass es dünnes Eis ist, über das er da getrieben wurde. Andrea Fischer ist eingebrochen bei dem Versuch, eine politische Moral zu fördern, die die Fröste der Freiheit überstehen lässt.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin (FM)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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