Kanzlerwahlhilfsverein

Prämienspektakel Der kranke Gesundheitskompromiss der Union - doch wer bleibt Sieger?

Wer der beiden Streitschwestern hat denn nun gewonnen, fragten sich am vergangenen Montag die Politspekulanten, als Angela Merkel und Edmund Stoiber nach einem telekommunikativ überreizten Wochenende endlich den lang erwarteten und unter Ausschluss der Fachpolitiker ausbaldowerten Kompromiss in Sachen Gesundheitsprämie vorstellten. Sah es vergangene Woche noch so aus, als würde sich der CSU-Chef mit einem nach Einkommen gestaffelten Gesundheitsbeitrag durchsetzen, lenkte er, wohl mit Blick auf den CSU-Parteitag am kommenden Wochenende, ein: Eine Grundprämie für alle und eine so komplizierte Mischfinanzierung des sozialen Ausgleichs, dass das Konstrukt selbst von Wohlgesonnenen wie Arbeitgeber-Präsident Hundt mittlerweile als "Lohnnebenkostenabkopplungseinheitspauschalesteueranteilsmodell" verhöhnt wird.

In der Tat mutet die Union ihren Wählern zu, was bislang - und mit bekannten Folgen - der Deutschen Bahn vorbehalten war: Galoppierende Kundenverwirrung. Denn die 169 Euro, die künftig jeder Erwachsene an die Krankenkasse zahlen soll, speisen sich aus vielen und teilweise so unsicheren Quellen, dass man die Skepsis der Kassenchefs, die um ihre Einnahmen fürchten, versteht. 109 Euro sollen vom Arbeitnehmer aufgebracht werden, weitere 60 Euro vom Arbeitgeber, der diese aber nicht mehr direkt an die Krankenkasse, sondern an eine noch nicht weiter benannte Clearingstelle abführt. Übersteigen die 109 Euro das Arbeitnehmereinkommen sieben Prozent, erhält er einen Sozialausgleich. Dafür wird der Fonds der Arbeitgeber, deren Anteil ohnehin eingefroren werden soll, nicht ausreichen, rechnen Fachleute vor. Darüberhinaus müssen auch die Beiträge für Kinder finanziert werden. All dies soll - und das war in der Union bis zuletzt ein entscheidender Streitpunkt - aus Steuermitteln finanziert werden. Im Falle eines Wahlsiegs der Union würde deshalb der Eingangssteuersatz nicht auf 12, sondern nur auf 13 Prozent sinken und der Spitzensteuersatz statt auf 36 nur auf 39 Prozent. Letzteres wäre der einzige Solidarbeitrag, den die Union Besserverdienenden und/oder Privatversicherten abnötigt.

Wer diese Seite bis dahin noch nicht entnervt umgeblättert hat, mag sich außerdem die mit diesem Modell verbundenen etatistischen Unwägbarkeiten vor Augen halten: Sinkende Steueraufkommen durch Arbeitslosigkeit zum Beispiel oder steigende Preise im Gesundheitssystem. Schon heute ist klar, dass die Prämie zu niedrig kalkuliert ist. Steigt sie, löhnen die Versicherten doppelt: mit erhöhten Einzelbeiträgen und zusätzlichen Steuern für steigende Sozialboni.

Wer bei diesem Modell gewinnt, liegt klar auf der Hand: Zwar meckern die Arbeitgeber, weil die Union sie nicht ganz aus der Verantwortung für die Gesundheitskosten ihrer Arbeitnehmer entlassen will, aber immerhin bleibt ihr Beitrag auf 6,5 Prozent vom Arbeitslohn festgeschrieben und sinkt in dem Maße, wie sich der allgemeine Beitrag der Versicherten erhöht. Angela Merkel brachte es auf den Punkt: Die Union wolle die Arbeitgeber nicht weiter "mit den Kosten des medizinischen Fortschritts" belasten. Wer redet da noch von Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven und intelligenter Ressourcennutzung? Der Druck aus dem Arbeitgeberlager - das muss man zugestehen - hat bislang verhindert, dass die Gesundheitskosten ins Astronomische stiegen. Künftig werden die Beiträge eben erhöht oder die Leistungen minimiert - oder, wahrscheinlicher, beides.

Unwahrscheinlich dagegen ist, dass das Unions-Modell in dieser Form je gesetzliche Weihen erfährt. Aus zwei Gründen: Erstens ist das Monstrum nicht realitätstauglich, und die FDP als künftiger Koalitionspartner hat ohnehin schon die rote Karte gezogen. Zweitens rückt ein Sieg Merkels, wenn sie die Leute weiterhin mit solchen Verwirrkisten zum Wahnsinn treibt, ohnehin in weite Ferne; zumal sie auch noch dabei ist, ihre glaubwürdigsten Sozialonkel wie Horst Seehofer zu vertreiben. Momentan jedenfalls macht sich die Union prima als Kanzlerwahlhilfsverein. Der hat schon am Tag der Verkündigung süffisant gegrinst. Mit dem Dank wartet er noch.


Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden