Kasse flau, Leben mau?

Kommentar Enquete will nur eng begrenzte Patientenverfügung

Kürzlich machte die Deutsche Hospiz Stiftung darauf aufmerksam, dass in Belgien seit der Legalisierung der aktiven Sterbehilfe vor 15 Monaten 260 Menschen von Ärzten getötet wurden. Damit hätten sich, so die Stiftung, die "schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet: Anstatt auf eine gute Versorgung der Patienten am Lebensende zu setzen, werden Schwerstkranke mittels Giftspritze entsorgt".

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Aber diskutiert wird derzeit über die Liberalisierung des Betreuungsgesetzes und die Handhabung von Patientenverfügungen. Während eine im Sommer von Justizministerin Zypries eingesetzte Expertengruppe "Patientenautonomie am Lebensende" dafür plädiert hatte, Willenserklärungen von Patienten auch unabhängig vom Krankheitsverlauf und dem Stand der Erkrankung zuzulassen, will die Ethik-Kommission des Bundestages den dokumentierten Patientenwillen auf die Fälle eingeschränkt sehen, in denen das Grundleiden unumkehrbar ist und trotz medizinischer Maßnahmen nach ärztlichem Ermessen zum Tode führen wird. Damit wendet sich die mehrheitlich verabschiedete Empfehlung gegen Bestrebungen, Vorausverfügungen auch im Falle von Altersdemenz oder Wachkoma verbindlich zu erklären; im Gegenteil soll in jedem Einzelfall ein Konsil beraten und im Streitfall ein Vormundschaftsgericht entscheiden.

Triumphiert hier abstrakter Lebensschutz über konkretes Selbstbestimmungsrecht? Soll, wie die Liberalisierer meinen, der nicht mehr einwilligungsfähige Patient entmündigt und ärztlicher Kuratel unterstellt bleiben? Der Zielkonflikt - der Patientenwille auf der einen, berufsbezogenes ärztliches Ethos auf der anderen Seite - ist kaum abzustreiten. Die Frage ist, ob sich Ärzte und Ärztinnen entlastet fühlen dürfen, wenn ein "zweitletzter Wille" vorliegt.

Aufschlussreich ist indessen das Bild, das der Bericht von der aktuellen Gesellschaft zeichnet. Die Enquete befürchtet nämlich ein Klima, in dem "Druck auf ältere oder schwerkranke Menschen ausgeübt und der Patientenwille zum "Mittel der Kostensenkung instrumentalisiert werden" könnte. Wer den Patientenwillen uneingeschränkt gelten lasse, mache ihn "zur einklagbaren Unterlassungsverpflichtung". Kasse flau, Leben mau. Dazu braucht es nicht einmal äußeren Druck: Gerade ging die Meldung durch die Presse, dass sich immer mehr alte Menschen lieber selbst töten als in ein Pflegeheim zu gehen.

Was die Enquete betrifft, ist sie bekannt dafür, der Regierung gelegentlich einmal einen Bremsklotz in die Gleise zu werfen. Im Unterschied zum Ethikrat ist sie auf den good will des Kanzlers nicht angewiesen. In Aporien bleibt auch sie verstrickt: Denn warum sollen (im Falle einer Organspende) lebenserhaltende Maßnahmen ergriffen werden - gegen einen ausdrücklich dokumentierten Patientenwillen?


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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