Kein Mut zum Systemwechsel

Rentenpolitik Die SPD hat ihr Rentenkonzept vorgestellt. An den Grundfesten der Altersvorsorge in Deutschland rüttelt das nicht
In welche Richtung geht die Rentenpolitik? Wenn es nach der SPD geht, ist kein Kurswechsel zu erwarten
In welche Richtung geht die Rentenpolitik? Wenn es nach der SPD geht, ist kein Kurswechsel zu erwarten

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Wer Wahlen gewinnen will, benötigt die ältere Generation. Nicht nur, weil sie einen immer höheren Anteil an der Bevölkerung darstellt, sondern auch weil sie wahlfreudiger ist als die Jüngeren. Zuletzt erlebte das Theresa May, als sie mit ihrer „dementia tax“ herauskam und unter anderem vorschlug, alte Menschen sollten ihr Eigenheim verpfänden, um das Pflegeheim zu finanzieren. Welchen massiven Widerstand unpopuläre Rentenpläne auslösen können, bekamen in den vergangenen Jahren auch die Regierungschefs in Frankreich oder Griechenlands zu spüren.

Im Umkehrschluss, wird sich SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz gesagt haben, ist mit der Rente auch eine Wahl zu gewinnen – oder zumindest Boden gutzumachen, denn das so unverhofft gewonnene Neuland ist ebenso schnell wieder weggebrochen wie es die kurze Sympathieflut herangeschwemmt hatte. Viel zu spät rückte er mit einem Rentenplan heraus, den Arbeitsministerin Andrea Nahles im November bereits vorgestellt, aber noch nicht auf Wahlkampfmodus geschaltet hatte.

Bis 2030 soll der Rentenbeitrag von jetzt 18,7 nicht über 22 Prozent steigen, das Rentenniveau gleichzeitig nicht unter 48 Prozent des Durchschnittslohnes sinken. Eine „Solidarrente“ für Geringverdiener und eine „Zehnprozent-plus“-Rente für Beschäftigte mit langen Beitragszeiten sollen den Gang aufs Grundsicherungsamt verhindern helfen.

Das ist die Quadratur des Kreises, die ohne neue Finanzierungsquellen nicht zu schaffen ist, Nahles und Schulz veranschlagen dafür 19,2, andere Berechnungen bis zu 24 Milliarden Euro jährlich. Herangezogen werden dafür die drei Millionen bisher nicht altersversorgten und künftig beitragspflichtigen Selbständigen, ein kleiner Türspalt in die Bürgerversicherung. Von einem Systemwechsel für Beamte ist im Schulz-Programm nicht die Rede.

Union in Bedrängnis

Der sozialpolitische Aufschlag hat die sich unbesorgt gebende Union etwas in Bedrängnis gebracht und den Dissens zwischen den Schwestern befördert. Während die CDU das Thema in Merkel-Manier nach der Wahl am liebsten einer Kommission überlassen würde, ist das der CSU „zu dürftig“. Ausruhen auf der letzten von Volker Kauder gefeierten Minireform reicht nicht, um die Älteren für sie votieren zu lassen.

Sollte die Union aber mit einer der kleineren Parteien koalieren können, käme sie unter Druck: Die FDP will zum Schutz der Jüngeren nämlich eine „Belastungsgrenze“ im Grundgesetz festschreiben, die Grünen halten an der Bürgerversicherung fest. Also doch lieber vornehme Zurückhaltung?

Zu einem konsequenten Systemwechsel, der der Tatsache Rechnung trüge, dass es immer weniger reguläre Arbeitnehmer, dagegen immer mehr prekär Beschäftigte, so genannte Selbstständige und Leute gibt, die so reich sind, dass Altersvorsorge kein Thema für sie ist, kann sich aber auch die SPD nicht durchringen. Ihr Vorschlag rettet weitgehend das beitragsorientierte Äquivalenzprinzip und den Generationenvertrag: Jeder bekommt eine Rente im Verhältnis zum Beitrag, die von den Erwerbstätigen finanziert wird.

Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick in die Niederlande. Dort richtet sich die Basisrente nicht nach dem Beitrag, sondern nach der Dauer des Wohnsitzes im Land: Ein 65-jähriger dort lebenden Bürger erhält 45 Prozent des Durchschnittseinkommens – etwas über 1000 Euro – und darüber hinaus eine betriebliche Altersversorgung. Damit kann ein 60-Jähriger zusammen mit der Grundrente auf 70 Prozent des letzten Verdienstes erreichen. Mit politischem Willen wäre dieses Rentenmodell steuerlich finanzierbar. Der fehlt aber auch Schulz, obwohl er weiß, dass er den Beweis wohl gar nicht antreten muss.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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