Keine Häppchen

Überzeugend Peter Weiss im Hörerlebnisraum

Um eines gleich vorwegzunehmen: Die Mühen der Lektüren erspart dieses Hörbuch nicht. Wer den ganzen Raum der Ästhetik des Widerstands ausmessen will, muss ansetzen, wieder innehalten, von neuem beginnen wollen, muss den Mut haben, sich in den Satzwüsten zu verlieren - und den Willen, sich über das, was Peter Weiss hinterlassen hat, mit anderen zu verständigen. Die Ästhetik des Widerstands ist bei aller monologischen Komposition ein dialogisches, auf Austausch ausgerichtetes Buch. Das kann auch eine noch so überzeugende Hörspielarbeit, selbst wenn ihr zwölf lange Stunden zur Verfügung stehen, nicht leisten.

Überzeugend ist Karl Bruckmaiers Hörfassung (im Auftrag des Bayrischen und Westdeutschen Rundfunks) allerdings in der Weise, als sie das notwendigerweise auf ein Drittel gekürzte Werk nicht als willkürlich ausgeschlachtete dramatische "Schnäppchen" ausverkauft. Mit bemerkenswertem und wohl nur intensivem Studium des Werkes zu verdankenden Geschick hat der Regisseur die zentralen Szenen und Themen zu einem hörbaren Ganzen verschmolzen und so dramatisiert, dass der besondere Rhythmus der Weiss´schen Prosa hervorgehoben wird. Die zwölf CDs konzentrieren sich jeweils auf ein "Thema", beginnend mit dem Pergamon-Altar über die Ereignisse in Spanien, Guernica und im Exil, den Untergrund und als fragloser Höhepunkt die Hinrichtung der Mitglieder der Roten Kapelle in Berlin-Plötzensee.

Im Unterschied zu Weiss - und das ist der einzige folgenreiche Eingriff - hat der Regisseur die Erzählerposition auf zwei Sprecher aufgespalten. Robert Stadelober vertritt den jungen, mitten im Geschehen stehenden Erzähler, Peter Fricke den "abgeklärten", aus der historischen Distanz sprechenden - beide schnörkellos und dem besonderen Duktus der Sprache verpflichtet. Das sprengt zwar die Romanintention, folgt aber einer dramaturgischen Ökonomie, die auf Polyphonie setzt. Ergänzt wird sie durch weitere 14 stimmlich fast durchweg brillant besetzte Figuren (darunter Rüdiger Vogler als Vater, Helga Fellerer als Coppis Mutter, Susanne-Marie Wrage als Lotte Bischoff oder Hanns Zischler als Pfarrer Poelchau) und eine Geräuschkulisse, die ganz auf den Flügelschlag setzt. Ob es sich dabei um die verheißenden Schwingen des Benjaminschen "Engels der Geschichte" handelt oder um die bedrohlichen der Todesvögel über Plötzensee, bleibt der Imagination der Zuhörer überlassen.

Peter Weiss: Die Ästhetik des Widerstands. Bearbeitung und Regie Karl Bruckmaier, Der Hörverlag, München 2007, 12 CDs. 59 EUR


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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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