Ovid erweckte sie in den Metamorphosen zum Leben. Die bis heute vielfältig fortgeschriebene Golem-Sage degradierte sie zum stummen Knecht des Menschen. Goethe schrieb seinem Homunculus gefährliche Züge ein; und als »die« weiblich vorgestellte Automat bevölkerte sie die Romantik und gebar mit Frankenstein den Inbegriff monsterhafter Seelenlosigkeit. Die Avantgarde schließlich kehrte das Motiv um, indem sie den künstlichen Menschen nicht zum Zerrbild seiner selbst, sondern zur Ikone geglückter Selbststeuerung erhob. Ob nun Überwältigungsphantasien oder Überbietungsgesten die Hand führten, immer sprachen sich in den Kunst-Figuren Ängste aus; und jene von Günther Anders prognostizierte »promethische Scham« ang
87;promethische Scham« angesichts der fehlerhaften Kreatürlichkeit des Menschen und seiner leiblichen Existenz. Und immer waren es Künstler und Künstlerinnen, die mit ihren Entwürfen auf eine reale Entwicklung reagierten oder sie vorwegnahmen.Was uns allerdings in den vergangenen Monaten via Bild und Schrift in Atem hält, sind keine Phantasien mehr oder weniger durchgeknallter Sinnarbeiter, sondern Dr. Jekyll und Mr. Hyde treten ureigenst als Weltschöpfer auf, um den Menschen aus seiner Abhängigkeit von antiquierter Zeugung zu befreien. Können Modephilosophen wie Peter Sloterdijk noch in die Kategorie der Überbietungs-Matadore, denen es um den Anschluss der gemächlichen Mentalitäten an die technische Zivilisation geht, eingereiht werden, so mischen sich Figuren wie der italienische »Kindermacher« Antinori oder Sektenfürsten wie »Real« einfach ins Libretto, indem sie sich selbst zum Deuter ihrer umstrittenen Praxis aufschwingen und große Oper machen.Denn bei aller ehrwürdigen Verbeugung vor den klassischen Bühnen hat der Auftritt eines »außerirdisch« Berufenen vor der National Academy of Science doch ungleich höheren Eventwert als etwa die seehundtraurige Philosophen-Suada zum Auftakt des »Jahres der Lebenswissenschaften«. Genau genommen geht es dabei auch um nichts anderes, als zurückgebliebene Bewusstseine »anschlussfähig« zu machen. Wenn Real und seine weibliche Hilfstruppen diesen Weg ein wenig abzukürzen gedenken oder die Signori Antinori und Zavos dem biblischen Diktum »seid fruchtbar und mehret Euch« auf ihre Weise - und nicht zufällig im kindermüden Italien! - zu seinem Recht verhelfen, dann hat dies nicht nur strategische Vorteile für die seriösere Bio-Wissenschaft, sondern sie bedienen auch die Unterhaltungsbedürfnisse der Massen. Eingestimmt durch die Pop-Kultur scheint das erste Klon-Baby jedenfalls in einer Ufo-Disney-Welt besser angesiedelt, als in den antiseptischen Laboratorien staatlich subventionierter Wissenschaftstempel.Indessen ist die Ankündigung, die Welt mit dem ersten realen Menschen-Klon zu beglücken, eine wahrscheinlich folgenreichere terroristische Drohung als die Atombombe. Einem Diktator wie Saddam Hussein begegneten die Amerikaner per Strafexpedition; Leute wie Real werden nobilitiert, indem sie vor einer etablierten Wissenschaftsakademie ihre Show abziehen dürfen. Allein schon hierin drückt sich der wissenschaftsstrategische Unterschied zwischen aufwändiger atomarer Forschung und vergleichsweise simpler Biotechnologie aus.Trotzdem ist das Wissenschafts-Establishment wahrscheinlich insgeheim dankbar für das diabolische Treiben in jener abgelegenen Ecke von Québec. Der falsche Heilige mit dem Haardutt und seinem Harem ist dämonisch und lächerlich zugleich. Gäbe es die Sekte nicht, man hätte sie erfinden müssen, oder anders: es gibt sie, weil der Bedarf besteht. »Erschreckt« reagiert nun die Scientific Community auf das unethische Ansinnen, und eilfertig und von der Welt bejubelt hat Präsident Bush das Klonverbot dekretiert - um eine Woche später den Experimenten an bereits vorhandenen Embryonen nicht nur die Türe zu öffnen, sondern sie sogar zu subventionieren. Es war, wurde eingangs gesagt, die Kunst, die auf die Ungewissheit des menschlichen Ich reagierte mit der Produktion von Doppelgängern. Als Assistenten Gottes hat die Wissenschaft die Kunst nun verdrängt. Doch vom Schrecken der schwindenden Einzigartigkeit wird auch sie den Menschen nicht erlösen können. »An diesem Menschen«, entlässt Nietzsche das cartesianisch-selbstgewisse Subjekt in das Nichts, »ist nicht sein Äußeres, sondern sein Inneres hinzugelogen. Er will durchaus nicht Schein und Oberfläche scheinen, was er doch ist.« Sollte je dem Menschen sein Doppelgänger beschert werden, wird es einen neuen Kampf um »Beseelung« geben. Und es ist zu vermuten, dass sich an dieser Wiege die Kunst ihren Platz zurückerobert.