„Bring mir den Kopf des Johannes, und ich liebe dich“, sagt der Kriminalbeamte. „Salome!“, kontert seine Kollegin. Es ist der Vorabend einer achtstündigen Reise nach Gera, wo die des Mordes angeklagte Beate Zschäpe, Mitglied des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), ihre kranke Großmutter besuchen wird. Die beiden erfahrenen Kriminalisten sollen sie auf dieser Fahrt zum Reden bringen. Das biblische Motiv ist sprechend, aber auch verwirrend: Ist Zschäpe nun die Herodias, die den Tod des Johannes wünscht? Oder die von ihr beauftragte Tochter Salome, das Schleiertanzmädchen, das den Kopf des Täufers auf einer Schüssel reicht?
Keine Vorverurteilung angesichts eines laufenden Verfahrens, beteuert das ZDF, auch für Beate Zschäpe gelte die Unschuldsvermutung. Mit dem Doku-Drama Letzte Ausfahrt Gera – acht Stunden mit Beate Zschäpe wolle man den Zuschauer vielmehr in die Lage versetzen, sich selbst ein Bild zu machen von der lange Zeit schweigenden Angeklagten, die auch mit ihrer groß angekündigten Aussage im Dezember 2015 mehr verschleierte als enthüllte.
Es ist eine Gratwanderung, die der Filmemacher Raymond Ley und seine Frau, die Autorin Hannah Ley, unternehmen. Die Busfahrt nach Gera hat 2012 so stattgefunden. Aus acht in den Kriminalakten protokollarisch verbürgten Stunden soll ein luzides Psychogramm der seit dem Personal der RAF wohl schillerndsten Terrorismusverdächtigen herausgefiltert werden. Im Wechsel von gegenwärtigen Spielszenen, rekonstruierten Gerichtssequenzen – in denen auf beklemmende Weise auch die Opfer zu Wort kommen –, Rückblicken und Doku-Material wird die mediale Fahndung aufgenommen nach einer „Wahrheit“, die hinter den kriminellen Taten liegt. Wie muss man sich die Frau Beate Zschäpe vorstellen? Welche Rolle spielte sie für die beiden mörderischen Uwes, die sie laut Zeugenaussage „im Griff“ hatte? Und gibt es weiche Stellen in ihrer gepanzerten Persönlichkeit, die zu knacken sind?
Schwachstelle Großmutter
Dafür bietet das ZDF viel Prominenz auf, angefangen bei Joachim Król und Christina Große, die beiden sich harmlos gebenden, paradox intervenierenden Kriminalbeamten, die Zschäpe weichspülen sollen, bis hin zu Axel Milberg und Udo Samel als Richter und Staatsanwalt. Erstere setzen bei Zschäpes Eitelkeit an und ihrer Schwachstelle, der Großmutter. Für sie scheint Zschäpe als Einzige Gefühle zu haben. Die Begleiter fragen sie nach einem möglichen Kinderwunsch oder machen Lockangebote, indem sie auf das RAF-Mitglied Susanne Albrecht verweisen, das heute „ein normales Leben“ führe.
Doch nichts verfängt bei der Frau, die der Zuschauer mal als raffiniert agierende Verführerin erlebt, die mit Böhnhardt und Mundlos spielt, oder auch als biedere Hausfrau, die von den beiden fordert, die Schuhe auszuziehen. Überzeugender ist Lisa Wagner als Zschäpe in ihrem Spiel mit Blicken: Im Gericht überheblich bis abfällig, auf der Fahrt wachsam und aufblitzendes Interesse hinter Misstrauen und Abwehr verbergend, in Gera nur in Momenten warm.
Geknackt wird Zschäpe nicht. Nur der Staatsanwalt, auf die Rolle des Verfassungsschutzes befragt, verliert die Contenance. „Bauernschlau“, urteilen die Beamten am Ende, die dachten, Realität und Fiktion unterscheiden zu können. Aber weder Herodias noch Salome wäre damit Genüge getan.
Info
Letzte Ausfahrt Gera – acht Stunden mit Beate Zschäpe 26. Januar, 20.15 Uhr, ZDF
Kommentare 6
Geknackt wird Zschäpe nicht"
Was sollte an und in Beate Zschäpe geknackt werden können, wenn doch , nehmen wir einfach einmal ungeschützt an, Beate Zschäpe 2011 nach dem Tod der beiden Uwes mit ihrem ungestümen Willen zur telefonischen Selbstanzeige bei Thrüringer Ermittlungsbehörden, "ich bin nicht gekommen, zu schweigen!", von staatlichen Stellen gelinkt, um ihre Vorstellung, in die Kronzeugenregeung zu gelangen, bis heute zu dunklem Zwecke gebracht wurde.
Ist doch von Anfang an des Zschäpe Prozesses 2013 klar, wer hier geknackt gehört, ist nicht Beate Zschäpe zu Lasten des öffentlichen Intresses, der Nebenkläger, sondern sind bundesdeutsche Dienste, voran zumindest der MAD, der Verfassungsschutz, die Polizei in Thüringen, Hessen, Baden- Württemberg, Bayern, das BKA, der Generalbundesanwalt?
Großmutter, warum hast du keine Sollbruchstelle?
Damit man das besser verfilmen kann!
Wer spielt hier mit wem?
„Der Spiegel“ sieht in dem Film eine Dokumentation daruüber, „wie Beate Zschäpe mit Behörden und Öffentlichkeit spielt.“ Es sieht allerdings wohl eher danach aus, daß in dieser Soap gewisse Behörden vor der Öffentlichkeit ein Spektakel auffuühren, mit Beate Zschäpe als Sock Puppet...
Handwerklich sehr gut gemachter Film mit hervorragenden Schauspielern.
Trotzdem ist der Film im Hinblick auf das laufende Verfahren grenzwertig. Man kann darüber streiten, ob die Unschuldsvermutung, der besonders auch das öffentlich-rechtliche Fernsehen verpflichtet ist, nicht doch verletzt worden ist.
Weil der Zeitpunkt der Ausstrahlung dieser Fernsehproduktion denkbar ungünstig erscheint und daher ein mediales Verarbeiten oder eine dokumentarisch untermauerte Fiktion meines Erachtens während eines laufenden Verfahrens von höchster Brisanz ist und deswegen nicht gesendet werden sollte, ist es sehr wichtig und notwendig, die Produktion einer genaueren Analyse zu unterziehen. Auch im Hinblick auf die aktuelle Erstarkung rechtspopulistischer Strömungen aufgrund rassistischer und xenophober Ausschreitungen und der damit verbundenen überzogenen Medienpräsenz ist der Film zeitlich deplatziert. Das wiederum hat nichts mit einer Debattenverweigerung zu tun, sondern zielt nur auf eine sehr kritische Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung. Nach bundesweiten Stimmungsbefragungen könnte eine klammheimliche Aufwertung der Nazimörder und deren Helfershelfern durchaus möglich sein. Im Nazidorf Jamel und vielen Bereichen der pegida-Verortungen ist das schon Fakt.
Formalästhetisch und auch inszenatorisch ist gegen "die letzte Ausfahrt Gera" wenig auszusetzen, vor allem der ruhige Lauf der Bilder in diesem Kammerspiel, die mit einer sehr zurückgenommenen Hintergrundmusik überzeugt wie auch die Darstellungskunst von Krol, Große, Wagner, Milberg und Samel. Aber bei den Dialogen, wenn sie denn so verlaufen sind, kommt wenig Erhellendes heraus, was auch nicht zu erwarten war. Es wirkt geradezu naiv, dass uns der Film glauben machen will, die Verhörspezialisten oder Ermittler hätten irgendetwas aus der Sphinx der NSU herauskriegen können, einer Frau, die jahrelang intime Gefährtin der beiden Serienmörder war und mit ihnen Tisch, Bett und Untergrund geteilt hat. In einem Zwischenschnitt erklärte die Spiegel Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen die Technik dieser Small-Talk-Insistiermethode, wohlwissend, dass bei einem Täterprofil wie Zschäpe wenig Hoffnung bestand, wichtige Informationen für den ausstehenden Prozessverlauf herauszubekommen. Völlig deplatziert halte ich die Einblendung der suggestiv erscheinenden Itimszenen dieser Ehe zu dritt, vor allem die niveaulosen Bettspekulationen. Das ist unsauber und würdigte einen ernsthaften Einblick auf Zschäpes Zusammenleben mit den beiden Uwes auf Boulevardniveau hinab. Derartige Drehbuch-Regie-Kniffs werden einer seriösen Aufarbeitung ihrer Vergangenheit nicht gerecht und da man soviel über die Unschuldsvermutung eines Angeklagten schwadronierte, wäre es auch angebracht gewesen, diese voyeuristisch anmutenden Softerotikbilder völlig wegzulassen.
Allerdings nehme ich an, dass man damit auch die Erwartungshaltung der Zuschauer zur besten Sendezeit befriedigen wollte, denn wer Action und Szenen einer Dreierkonstellation erwartete, muss auch irgendwie zufrieden gestellt werden.
Trotz allem sehe ich den Film als gelungen an, wenn man sich die Mühe gibt, dem Spannungsbogen zwischen den Protagonisten im fahrenden Transporter durch West und Ost genauer auf den Grund zu gehen, Gesten und Blicke zu deuten und bei einigen Dialogen den Versuch unternimmt, aus der Wortwahl und der Semantik Rückschlüsse zu erzielen. Beeindruckend und nahezu ergreifend sind die Einspieler der Opferangehörigen, auch einige nachgestellte Szenen aus der Gerichtsverhandlung haben es in sich.
Ein zweiter Film ist in Arbeit, ein erstes Buch geschrieben, das wird sich medial noch weiter potenzieren, wie man es schon aus der Zeit der RAF-Nachbetrachtung gewohnt ist. Aber wäre es in jeder Hinsicht nicht besser gewesen, den Zeitpunkt der Ausstrahlung auf einen Zeitpunkt zu verschieben, der aus rechtlichem, gesellschaftspolitischen und moralischem Ermessen nur nach Ende des Prozesses hätte sein können. Die Banalität des Bösen, einmal von Troller nach Hannah Arendt zitiert, kommt erst in ihrem ganzen Ausmaß ans Tageslicht, wenn die verschlungenen Pfade der Wahrheitsfindung und deren zwangsläufig folgende Kommentare aus allen politischen und kulturellen Richtungen nahezu vollständig gefunden und geklärt worden sind.
LeNoir
Handwerklich-dramaturgisch gut gemachter Film – aus der öffentlich-rechtlichen Kiste mit ihrem Hang zur versimplizierenden, auf den breiten Volkskonsens abzielenden Pädagogisierung war Schlimmeres zu erwarten.
Die Psychogrammebene wird meines Erachtens gut rübergebracht. Die Fehler des Films – obwohl sie durch die bewußte Zurückhaltung und die eingearbeiteten Doku-Szenen ertragbar werden – liegen in der Fokussierung auf Zschäpe. Das funktioniert in etwa so, als wolle man die RAF über ein Psychogramm von Ulrike Meinhof erklären. Verschlimmernd hinzu kommt im konkreten Fall die – nach wie vor nicht aufgeklärte – Rolle von Geheimdiensten und ermittelnden Behörden. Hier wird im Film zwar durchaus das ein oder andere angedeutet. Die Tragweite des Falls bleibt jedoch im Dunkeln.
Das größte Verdienst dieser Produktion könnte so daran bestehen, dass sie eben nicht (vorschnell) erklärt, dass sie das, was im Dunkeln bleibt, im Dunkeln oder im Vagen lässt. Einen aufklärerischen (Spielhandlungs-)Film über den gesamten Komplex erwarte ich von den Öffentlich-Rechtlichen nicht. Abgesehen von den real unklaren Sachen dürfte sich hier auch der lange Arm des »Tiefen Staats« ungünstig auswirken (beziehungsweise dessen institutionelle Nähe). Darüber hinaus ist es vermessen, von einer Spielhandlung »die Wahrheit« zu erwarten.
Zu den in (einigen) Kommentaren geäußerten Einwänden, man dürfe nicht von wegen Unschuldsvermutung: Beate Z. ist – egal, wie man sich zu ihr positioniert – eine Person des öffentlichen Interesses. Folglich darf man auch – fiktionale oder dokumentarische – Filme über sie drehen.