Knack die Zschäpe

Doku-Drama 2012 besuchte Beate Zschäpe ihre kranke Großmutter in Gera. Das Polizeiprotokoll dieser Reise wurde zur Grundlage eines Drehbuchs
Ausgabe 03/2016

„Bring mir den Kopf des Johannes, und ich liebe dich“, sagt der Kriminalbeamte. „Salome!“, kontert seine Kollegin. Es ist der Vorabend einer achtstündigen Reise nach Gera, wo die des Mordes angeklagte Beate Zschäpe, Mitglied des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), ihre kranke Großmutter besuchen wird. Die beiden erfahrenen Kriminalisten sollen sie auf dieser Fahrt zum Reden bringen. Das biblische Motiv ist sprechend, aber auch verwirrend: Ist Zschäpe nun die Herodias, die den Tod des Johannes wünscht? Oder die von ihr beauftragte Tochter Salome, das Schleiertanzmädchen, das den Kopf des Täufers auf einer Schüssel reicht?

Keine Vorverurteilung angesichts eines laufenden Verfahrens, beteuert das ZDF, auch für Beate Zschäpe gelte die Unschuldsvermutung. Mit dem Doku-Drama Letzte Ausfahrt Gera – acht Stunden mit Beate Zschäpe wolle man den Zuschauer vielmehr in die Lage versetzen, sich selbst ein Bild zu machen von der lange Zeit schweigenden Angeklagten, die auch mit ihrer groß angekündigten Aussage im Dezember 2015 mehr verschleierte als enthüllte.

Es ist eine Gratwanderung, die der Filmemacher Raymond Ley und seine Frau, die Autorin Hannah Ley, unternehmen. Die Busfahrt nach Gera hat 2012 so stattgefunden. Aus acht in den Kriminalakten protokollarisch verbürgten Stunden soll ein luzides Psychogramm der seit dem Personal der RAF wohl schillerndsten Terrorismusverdächtigen herausgefiltert werden. Im Wechsel von gegenwärtigen Spielszenen, rekonstruierten Gerichtssequenzen – in denen auf beklemmende Weise auch die Opfer zu Wort kommen –, Rückblicken und Doku-Material wird die mediale Fahndung aufgenommen nach einer „Wahrheit“, die hinter den kriminellen Taten liegt. Wie muss man sich die Frau Beate Zschäpe vorstellen? Welche Rolle spielte sie für die beiden mörderischen Uwes, die sie laut Zeugenaussage „im Griff“ hatte? Und gibt es weiche Stellen in ihrer gepanzerten Persönlichkeit, die zu knacken sind?

Schwachstelle Großmutter

Dafür bietet das ZDF viel Prominenz auf, angefangen bei Joachim Król und Christina Große, die beiden sich harmlos gebenden, paradox intervenierenden Kriminalbeamten, die Zschäpe weichspülen sollen, bis hin zu Axel Milberg und Udo Samel als Richter und Staatsanwalt. Erstere setzen bei Zschäpes Eitelkeit an und ihrer Schwachstelle, der Großmutter. Für sie scheint Zschäpe als Einzige Gefühle zu haben. Die Begleiter fragen sie nach einem möglichen Kinderwunsch oder machen Lockangebote, indem sie auf das RAF-Mitglied Susanne Albrecht verweisen, das heute „ein normales Leben“ führe.

Doch nichts verfängt bei der Frau, die der Zuschauer mal als raffiniert agierende Verführerin erlebt, die mit Böhnhardt und Mundlos spielt, oder auch als biedere Hausfrau, die von den beiden fordert, die Schuhe auszuziehen. Überzeugender ist Lisa Wagner als Zschäpe in ihrem Spiel mit Blicken: Im Gericht überheblich bis abfällig, auf der Fahrt wachsam und aufblitzendes Interesse hinter Misstrauen und Abwehr verbergend, in Gera nur in Momenten warm.

Geknackt wird Zschäpe nicht. Nur der Staatsanwalt, auf die Rolle des Verfassungsschutzes befragt, verliert die Contenance. „Bauernschlau“, urteilen die Beamten am Ende, die dachten, Realität und Fiktion unterscheiden zu können. Aber weder Herodias noch Salome wäre damit Genüge getan.

Info

Letzte Ausfahrt Gera – acht Stunden mit Beate Zschäpe 26. Januar, 20.15 Uhr, ZDF

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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