Konzert der Koalitionsaussagen

Grüne Lieber ein breites linkes Bündnis oder mit der Union zusammenarbeiten? Die Spitzenpolitiker der Grünen sind unterschiedlicher Meinung
Ausgabe 30/2016
Cem Özdemir, Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin sind sich nicht immer grün
Cem Özdemir, Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin sind sich nicht immer grün

Foto: Sven Simon/Imago

Thüringens Ministerpräsident wird sich verwundert die Augen gerieben haben. „Mit Ramelow an der Spitze allemal“, hatte der Grünen-Bundesvorsitzende Cem Özdemir auf seiner Sommerwerbetour verkündet. Würde einer wie Bodo Ramelow die Linkspartei anführen, könnte sich sogar ein bekennender Schwarz-Grüner wie Özdemir eine rot-rot-grüne Koalition im Bund vorstellen.

Weiße Schönwetterwölkchen über der grünen Fläche machen noch keinen Wahlsommer, und die Wählergunst beeinflussen sie momentan kaum. Von einer rechnerischen Mehrheit in den Umfragen ist diese politisch inzwischen nicht mehr ganz so undenkbar erscheinende Koalition aus SPD, Linkspartei und Grünen noch ein gutes Stück entfernt. Zum einen bringt die bei 20 plus dümpelnde SPD zu wenig Power auf die Mühlschaufeln der Macht, zum andern gräbt die rechte AfD trotz interner Querelen noch immer reichlich Wasser ab. Für ein Bündnis mit der Union würde es für die Grünen derzeit allerdings auch nicht reichen.

Bekennend nichtbekennend

Dennoch ist der Koalitionskreislauf in Bewegung geraten. Den Joker haben dabei die Grünen in der Tasche – und das ist ihr Problem. Denn die Zeiten der Lieblingskoalition Rot-Grün sind vorbei, wie die Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt dekretiert. Sie gehört zu den bekennenden Nichtbekennenden in ihrer Partei. Die Zeiten seien zu turbulent, um sich voreilig festzulegen.

Doch das sehen nicht alle so bei den Grünen. Im Hintergrund und auch auf offener Bühne arbeiten Kräfte, die gut ein Jahr vor der Bundestagswahl 2017 die Zielrichtung bestimmen wollen. Nach dem Durchmarsch in Baden-Württemberg wirbt Winfried Kretschmann für das Ländle-Erfolgsstück, das im Bund allerdings nur mit vertauschten Rollen und unter Führung von Angela Merkel auf die Bretter gehen würde. Im Juni erteilte er einer rot-rot-grünen Koalition eine klare Absage.

Die Linke lebe „im Zeitalter der Nationalökonomie und befindet sich außenpolitisch im Niemandsland“, erklärte er. Ein exportorientiertes Industrieland sei mit einer „Protestpartei“ nicht zu regieren. Dass ausgerechnet Kretschmann, der seine Politkarriere dem Aufstieg einer „Protestpartei“ zu verdanken hat, die Linkspartei mit diesem Begriff abqualifiziert, ist typisch für dessen Geschichtsvergessenheit und besonders hinterhältig, weil unter diesem Label momentan in erster Linie die AfD firmiert.

Kretschmanns scharfe Absage an „Breilibü“, das „breite linke Bündnis“, das Sigmar Gabriel im Juni als kurzlebigen Luftballon am Berliner Himmel hatte aufsteigen lassen, war Reaktion auf ein Interview des grünen Seniors Jürgen Trittin, der „im Zweifel“ lieber mit Sahra Wagenknecht paktieren würde als mit Horst Seehofer. Zwischen Grünen und Linkspartei sieht er erheblich mehr Schnittflächen als in einer Koalition mit der CSU.

Trittin, der zu Lebzeiten offenbar noch ein politisches Vermächtnis auf den Weg bringen will, ist derzeit der rührigste Trommler für ein rot-rot-grünes Bündnis. In seiner Partei macht er sich damit nicht überall Freunde. Ein „Gedankenaustausch“ mit Oskar Lafontaine im Saarland brachte vor einigen Monaten sogar die sonst eher bedächtige Katrin Göring-Eckardt auf die Palme. Trittin und Lafontaine erweckten den Eindruck, empörte sie sich, man könne einfach mal mit Sigmar Gabriel ausmachen, wo es langgehe. Mit diesem „klassischen Männergehabe“ ließe sich heutzutage aber keine Politik mehr machen. Ihre Ansage: „Vergesst es.“

Göring-Eckardt wird bei der Kandidatenkür der Grünen für den Bundestagswahlkampf wohl konkurrenzlos bleiben, denn die eher linke Bundesvorsitzende Simone Peter will sich offenbar nicht um den Job bewerben. Göring-Eckardt besetzt auf dem Frauenticket die grüne Doppelspitze – ein von Kretschmann übrigens ebenfalls gerügtes Relikt, das es abzuschaffen gelte. Um den Männerplatz buhlen mittlerweile gleich drei Hirsche: Ko-Fraktionschef Anton Hofreiter, der Vorsitzende Cem Özdemir und der „Intellektuelle“ der Grünen, Robert Habeck, derzeit Umweltminister in Schleswig-Holstein.

Vom koketten Liebäugeln mit Bodo Ramelow einmal abgesehen gilt Özdemir eher als Verfechter einer schwarz-grünen Koalition. Nachdem Hofreiter das rot-grüne Projekt mangels Wählerunterstützung ad acta legen musste, zeigt auch er sich offener für ein Bündnis sowohl mit der Union als auch mit der Linkspartei, „aus staatspolitischer Verantwortung“, wie er im Sommerinterview mit dem ZDF erklärte. Der Schriftsteller Robert Habeck, derzeit stellvertretender Ministerpräsident in einer rot-grünen Regierung, gehört zu denjenigen, die sich nicht frühzeitig auf Schwarz-Grün festlegen wollen: „Ich rate meiner Partei ab, sich auf ein solches Bündnis einzuschwören“, sagt er. Man dürfe auf keinen Fall „im Gestus der Unterwerfung“ mit der Union verhandeln.

Sogkraft des Merkel-Systems

Bei aller Konkurrenz um die grüne Spitze fordern alle Kandidaten für den Fall des Falles viel „Bewegung“ von der Linkspartei. Die Vorbehalte, insbesondere gegen Sahra Wagenknecht und ihre außenpolitischen Positionen, sind enorm. Doch eine Alternative zu einer neuen Kanzlerschaft Merkel würde voraussetzen, dass SPD, Grüne und Linkspartei endlich „Leitern anstellen“ und sich „von den Bäumen holen“, auf die sie sich gegenseitig getrieben haben. Trittin bemüht dieses Bild zwar nur im Hinblick auf die Linkspartei, doch es lässt sich durchaus verallgemeinern, wenn ein rot-rot-grünes Projekt tatsächlich noch auf den Weg gebracht werden soll.

Für die Grünen würde das bedeuten, den machtorientierten Hinhalte-Koalitionspoker aufzugeben und sich einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu stellen. In der Steuerpolitik beispielsweise, die immerhin die Option bereithielte, sich bei der Vermögensteuer den Linken anzunähern. Schnittstellen gäbe es auch in der Sozialpolitik – Stichwort Bürgerversicherung – oder in gesellschaftspolitischen Bereichen.

Doch ein Teil der Grünen hat, im Gegensatz zu großen Teilen ihrer Basis, daran überhaupt kein Interesse. Setzt sich aber die Kretschmann-Fraktion durch, könnte es den Grünen ergehen wie einst der FDP oder derzeit der SPD, die bis zur Unkenntlichkeit in der aufsaugenden Merkel-Umarmung aufgegangen sind, die Liberalen sind gar eine Weile von der Bildfläche verschwunden. Allein die Frage, ob das Merkel-System noch einmal diese Sogkraft entwickelt, ist offen.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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