Nach den Lokführern sind es nun wieder die Krankenhausärzte, die für ihr Einkommen in die Tarifbütt steigen. Der Trend, die Macht des jeweiligen Berufsstandes auszuloten, ist unverkennbar. Unabhängig von den tarifpolitischen Folgen wird die Nachricht des Marburger Bundes aber auch in der großen Koalition mit gemischten Gefühlen aufgenommen werden. Alles, was im Moment nur mittelbar mit einer Verteuerung von Gesundheitsleistungen zu tun hat, ist ein heikles Thema, nachdem der in Vergessenheit geratene Gesundheitsfonds, der ab 2009 eingeführt werden soll, wieder zum politischen Zankapfel geworden ist.
Vergangene Woche hatte das Münchener Institut für Gesundheitsökonomik (IfG) nämlich vorgerechnet, dass mit dem Fonds der Beitragssatz auf 15,5 Prozent - das sind 0,7 Punkte mehr als der derzeitige Durchschnittssatz - steigen könnte. Krankenkassenvorstände, die interessiert daran sind, mit einem möglichst dicken Polster in das Experiment zu starten, beeilten sich, diese Prognose zu bestätigen. Danach müssten sich Versicherte, die in einer Kasse mit sehr günstigen Beitragssätzen sind, auf eine jährliche Zusatzbelastung von 200 (bei einem Jahresverdienst von 12.000 Euro) bis zu 700 Euro (43.200 Euro Jahresverdienst) einstellen.
Im November wird die Bundesregierung erstmals einen bundesweit einheitlichen Krankenkassenbeitragssatz festlegen. Die Zahlungen der Versicherten fließen, zusammen mit dem Arbeitgeberanteil und dem Bundeszuschuss, in den Fonds, aus dem die Kassen - gestaffelt nach Versichertenstruktur und erwartbaren Kostenrisiken (Risikostrukturausgleich) - einen entsprechenden Anteil erhalten. Wirtschaften sie gut, können sie einen Teil der Beiträge an ihre Versicherten zurückerstatten; kommen sie mit dem Geld nicht aus, müssen sie einen Zusatzbeitrag, der nur von den Arbeitnehmern zu zahlen ist, erheben. Das Problem bei allen Prognosen: Niemand kann genau vorhersehen, wie sich die Gesundheitskosten im Laufe dieses Jahres entwickeln werden. Die niedergelassenen Ärzte zum Beispiel erhalten nach der neuen Honorarordnung mehr Geld, und die Ausgaben für Arzneimittel sind schon vergangenen Oktober ohne ersichtlichen Grund erheblich gestiegen.
Der Alarmismus, mit dem die Daten des IfG - das seine Studie übrigens im Auftrag der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft erstellte - in den medialen Kreislauf eingespeist wurden, scheint Methode zu haben. Der Fonds findet weder bei den Tarifparteien noch bei den Kassenvorständen begeisterte Anhänger. Die Arbeitgeber fürchten die gesetzlich festgelegten Beitragssätze und die Gewerkschaften warnen vor unabsehbaren Zusatzbelastungen, die nur von den Beschäftigten zu schultern sind; die Kassen wiederum überblicken derzeit noch nicht, wie hoch die Mittel sein werden, die ihnen künftig zur Verfügung stehen - unter anderem, weil die Kriterien für den Risikostrukturausgleich bislang noch nicht endgültig festgelegt sind.
Ob es sich nun um eine gesteuerte Kampagne handelt, um politischen Druck auf die Koalition auszuüben, oder um ein zufälliges Produkt disparater Interessen, sei dahingestellt. Peinlich für die Sachverwalter ist allerdings der "Rechenfehler", der dem Institut unterlaufen ist. Bei ihren Schätzungen hatten die Gutachter nämlich "vergessen", den erheblich erhöhten Bundeszuschuss einzubeziehen, was zu den dramatisch anmutenden Prognosen führte.
Im November, wenn das Parlament über den Beitragssatz entscheiden soll, steht der Wahlkampf vor der Tür. Was die beiden Volksparteien am wenigsten brauchen können, ist eine Debatte um hohe Versicherungsbeiträge und einen Fonds, der schon bei seiner Verabschiedung von allen Seiten als "Reformmurks" gegeißelt wurde. Im November allerdings sind die Weichen dafür so fest gestellt, dass kein noch so hoher politischer Druck sie umlenken werden. Was jetzt nicht passiert, wird unumkehrbar.
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