„Absolutes Killervirus“ fressen Seele auf

Meinung Ob Karl Lauterbach wirklich nur knapp einer Entführung durch Querdenker entkommen ist, werden die Ermittlungen ergeben. Auf jeden Fall wirkt der Gesundheitsminister dünnhäutiger denn je. Davon zeugt auch seine jüngste Übertreibung
Ausgabe 16/2022
Jüngst ließ sich Karl Lauterbach dazu hinreißen, die Republik mit einer „absoluten Killervariante“ des Virus in Schrecken zu versetzen
Jüngst ließ sich Karl Lauterbach dazu hinreißen, die Republik mit einer „absoluten Killervariante“ des Virus in Schrecken zu versetzen

Foto: John MacDougall/AFP/Getty Images

Er sei eigentlich kein ängstlicher Mensch, bemerkte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) anlässlich der von einer Querdenker-Gruppe geplanten Entführung seiner Person. Wie real diese Aktion war, werden Ermittlungen ergeben. Doch kaum vorstellbar, dass sich das mentale Kostüm eines Politikers nicht verändert, der seit Ausbruch von Corona zunehmend mit Morddrohungen konfrontiert ist, der um die Sicherheit seiner Kinder bangen muss und nur noch mit Polizeischutz unterwegs ist. Der zum Minister aufgestiegene Experte wirkt dünnhäutiger in seinen Auftritten als der vor wissenschaftlichem Selbstbewusstsein strotzende Mahner, der mit Kolleg:innen aus der Forschung gerne in den Ring stieg.

Am Wochenende ließ sich Lauterbach dazu hinreißen, die Republik mit einer „absoluten Killervariante“ des Virus in Schrecken zu versetzen. Diese sei: „so hochansteckend wie Omikron und so tödlich wie Delta!“ Die Reaktionen darauf lauteten von „wenig hilfreich“ über „nicht zielführend“ bis hin zu „unwissenschaftlich“. Letzteres Verdikt kam vom Hamburger Virologen Jonas Schmidt-Chanasit und dürfte den Wissenschaftler Lauterbach besonders treffen. Auch andere Experten halten die Prognose für fahrlässig und stützen sich dabei auf die Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die dieses Szenario für „eher unwahrscheinlich“ hält. Würde man dem Virus einen Willen unterstellen, ist es zwar bestrebt, sich zu vermehren – aber nicht, besonders pathogen zu sein.

Vielleicht befürchtete Lauterbach, im nächsten Herbst ein ähnlich chaotisches Szenario managen zu müssen wie sein Vorgänger Jens Spahn (CDU) die Jahre davor? Aus seiner Enttäuschung über die im Bundestag durchgefallene allgemeine Impfpflicht und der künftigen Aussichtslosigkeit des Projekts machte Karl Lauterbach jedenfalls keinen Hehl. Für ihn war sie die einzige aussichtsreiche „Wall gegen die nächste Viruswand“.

Karl Lauterbachs Stern am Himmel wird blass

Dabei gibt es noch immer keinen angepassten Impfstoff gegen Omikron und die gehorteten Impfdosen drohen im Sommer teilweise zu verfallen. Deshalb kündigt der Minister vorsorglich schon wieder ein geschärftes Infektionsschutzgesetz und die Maskenpflicht für die kommende Seuchensaison an.

Die Hilf- und Orientierungslosigkeit des Gesundheitsmanagers hatte sich bereits Wochen zuvor offenbart, als er – via Talk bei Markus Lanz – einräumen musste, dass es vielleicht doch klüger wäre, es nicht allein den Infizierten zu überlassen, ob sie sich in Quarantäne begeben (wie er es zuvor angekündigt hatte). Der Kniefall vor den Liberalen bei der weitgehenden Lockerung der Infektionsschutzmaßnahmen folgte dann auf dem Fuß.

Der Stern Lauterbachs am politischen Himmel ist blass geworden. Und nach der Causa Anne Spiegel als abgeseilter Familienministerin und vielleicht auch der angezählten Manuela Schwesig als Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern könnte Kanzler Olaf Scholz bald eine veritable Personalkrise bevorstehen. Wenn im Herbst nicht nur Corona wieder zuschlägt, Impfzentren hochgezogen werden müssen und die Krankenkassen ihr Rekordminus abrechnen, wäre es denkbar, dass auch Lauterbachs Aktien unaufhaltsam ins Rutschen kommen. Oder dass ein Mensch, dem es ein Gräuel ist, so ungesund zu leben, wie es von Spitzenpolitiker:innen erwartet wird, und der sich den Job, wie er kürzlich erklärte, nicht so anstrengend vorgestellt hat, von sich aus den Bettel hinwirft. Weil ein Leben als Abgeordneter angstfreier zu leben ist.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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