Kulturgut Sonntag

Ladenschluss Berliner Shopping: Die Kirchen klagen in Karlsruhe gegen den Sonntagsverkauf. Unterstützung finden sie bei Verdi - doch die Motive sind keinesfalls die gleichen

Dass Berlin eine von Gott und allen guten Geistern verlassene Stadt ist, wussten konservative Zeitgenossen schon, als sich vor gut 20 Jahren ein rot-grüner Senat einrichtete, mit einer Frauensenatorin, die sich statt auf bildungsbeflissenen Parketten in der Halbwelt von Zockern und Glücksrittern herumtrieb. Mit dem rot-roten Senat und einem schwulen Regierenden ist die Gottlosigkeit geradezu zum Programm erhoben und fordert die beiden christlichen Kirchen nun bei jeder Gelegenheit heraus, wider multikulturelle Ausfransungen und religiöse Gebietsverletzungen ins Felde zu ziehen.

Wenn nicht gerade die Furcht vor islamischer Überwältigung, ist es der Kampf für die göttliche Sonntagsruhe, der den Kulturkampf wieder einmal bis vor die obersten Richter bringt: Das Karlsruher Bundesverfassungsgericht wird sich heute mit dem gottgefälligen Sonntag befassen. Seitdem die Föderalismusreform den Ländern erlaubt, selbst über ihre Ladenschlusszeiten zu bestimmen und gelegentlich sogar den Sonntag fürs Shopping zu öffnen, gibt es zwischen benachbarten Ländern geradezu einen Wettlauf um die Konsumkraft von der anderen Seite.

Warentempel statt Kirchgang?

Berlin hat mit dem Rund-um-die-Uhr-Verkauf an Werktagen, vier offenen Advents- und sechs weiteren auf das Jahr verteilten Verkaufssonntagen die Nase weit vor den meisten anderen Bundesländern. Doch der Sonntagsverkauf – zumal in der Advents- und Osterzeit – ist dem katholischen Erzbistum Berlin ebenso ein Dorn im Auge wie der hiesigen Evangelischen Kirchen. Statt im Tempel des Herrn sehen sie ihre Schäfchen in den Konsumtempeln fremdgehen und damit den liturgischen Wochenrhythmus gefährdet.

Da nützt auch die Beschwichtigung des Senats nichts, die Öffnungszeiten von 13 bis 20 Uhr hindere die Gläubigen nicht am Kirchengang: Bischof Wolfgang Huber und Kardinal Georg Sterzinsky sehen das verfassungsmäßig verankerte Recht auf Religionsfreiheit und -ausübung verletzt und überdies den aus der Weimarer Reichsverfassung übernommenen Passus: „Die Sonntage und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt.“


Im Hinblick auf die Arbeitsruhe finden die beiden christlichen Kirchen ungewohnte Unterstützung, denn auch Verdi ist nicht erbaut von der immer weiter um sich greifenden Liberalisierung der Öffnungszeiten im Einzelhandel. Den arbeitsrechtlichen Verwicklungen mit den Gewerkschaften allerdings haben sich die Arbeitgeber entzogen, indem sie die Sonntagsarbeit auf freiwilliger Basis anbieten und keinen Beschäftigten dazu zwingen wollen; das hat den gemeinsamen Klageweg von Kirchen und Gewerkschaften zunächst verbaut.

Indes weisen gewerkschaftlich forcierter Arbeitsschutz und christlich motivierte Kreuzzüge wenig kongruente Flächen auf. Zum einen werden sich Verkäuferinnen finden, die die zulagenträchtige Sonntagsarbeit gerne übernehmen: Sie spielen die Türöffner der allgemeinen Liberalisierung, und irgendwann, das fürchten die Gewerkschaften zu Recht, werden auch die lukrativen Zuschläge fallen und aus der Freiwilligkeit wird Zwang. Hier vorzubauen, ist aber kein Anliegen der Kirchen, die es als Arbeitgeber selbst nicht so genau nehmen. Die Gewerkschaften ihrerseits sind aufgefordert darauf hinzuweisen, dass Arbeitsruhen eine zivilisatorische Errungenschaft sind, die nicht vorderhand von Gott, und schon gar nicht von den herrschenden Klassen ins Volk getragen wurden.

Mutation zum Konsumentenvolk

Zum anderen dürfte der hoheitliche Selbstauftrag der beiden Kirchen all jene irritieren, die mit dem Sonntag nichts Erhabenes verbinden können. Warum etwa sollte in Berlin mit seiner starken muslimischen Minderheit der Ramadan nicht ebenso verfassungsmäßigen Schutz beanspruchen können?

Und was die sonntägliche Ruhe angeht: Mit der Mutation von einem Arbeitsvolk zu einem Konsumentenvolk ändern sich ja nur die Vorzeichen: Konsum, weiß man, kann zur Schwerarbeit werden und die Aufforderung zum Kauf schierer Terror. Wie Nachtarbeiter die relative Ungestörtheit loben, könnte es sein, dass sich auch sonntags manch einer in ruhigere Arbeitsgefilden rettet. Oder eben in die Kirche.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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