Alles, was metaphorisch gesagt werde, sei unklar, undeutlich und zweifelhaft, ist von Aristoteles überliefert. So gesehen müsste über die exakten Wissenschaften ein Metaphernverbot verhängt und aus ihren Tempeln alle Bilder verbannt werden wie einst aus den Kirchen der Calvinisten. Andererseits ist es nur der Mathematik vorbehalten, in ihrer eigenen Sprache zu kommunizieren, alle übrigen anschlusswilligen Wissenschaften sind auf die Lingua franca angewiesen.
Der Griff zu Metaphern und Analogien ist mitunter aber geboten, weil sich die wissenschaftlichen Gegenstände zunehmend der unmittelbaren Sicht- und Begreifbarkeit entziehen – das gilt für die Teilchenphysik ebenso wie etwa für die Genetik. Während im aufkommenden Maschinenzeitalter die Vorgänge im Körperinneren als ein Apparat in ständigem Reparaturmodus vorgestellt wurden, bediente sich die Ökonomie der organischen Welt, als sie die Homöostase in das Berührungsfeld des Sozialen brachte. Und wo heutzutage das Individuum als Unteilbares zur Disposition steht, wie in der Reproduktions- oder Transplantationsmedizin, rückversichert man sich in der Natur: Da werden „Eier geerntet“ und „versetzt“ oder „Organe aus- und wiedereingepflanzt“, als handelte es sich um Blumen- oder Tomatensetzlinge.
Eines der sinnfälligsten und vielleicht wirkungsmächtigsten Bilder aber hat die Humangenetik kreiert, als sie den genetischen Code in das „Buch des Lebens“ ummünzte. Während der Code noch an den Aufstieg der Genetik aus dem Reich der IT erinnert, ist es der Molekulargenetik gelungen, eine Art Evolutionsmaschine zu bauen, in der Sprache und Materie verschmelzen. Zunächst ging es darum, den DNA-Alphabetismus zu entziffern; dann ihn möglichst schnell zu interpretieren – und schließlich ihn neu zu editieren.
Verräterische Metaphern
Dieses vorerst letzte Stadium hat die Molekularforschung inzwischen erreicht. Sie hat eine Form der genplastischen Chirurgie entwickelt, die helfen soll, die „Fehler“ in der genetischen Codierung zu beheben, entweder nachträglich am Menschen oder präventiv, indem in seine Keimbahn eingegriffen wird. Bislang erwiesen sich diese Versuche als stümperhaft, weil die Interventionen ungenau waren, doch seit zwei Jahren existiert ein Handwerkszeug namens CRISPR-Cas9, das diese „Editierungsarbeit“ übernimmt. Seine Erfinderinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna gelten als nobelpreisverdächtig.
Bei diesem Instrument handelt es sich um eine sogenannte Gen-Schere. Nicht von ungefähr erinnert das Bild an die Schere auf jedem Computerdesktop, mit der sich Textblöcke oder Wörter ausschneiden und an anderer Stelle wiedereinsetzen lassen. Genauso funktioniert auch das Kombinationswerkzeug CRISPR-Cas9: Das Enzym Cas9 schneidet die DNA gezielt an einer Stelle auf, die von zwei Molekülen – dem CRISPR – vorgegeben wird. Die „Reparaturstelle“ wird dann vom zelleigenen Enzym ausgebessert. Die Forscherinnen entdeckten das CRISPR-Cas-System eher zufällig als Teil des Immunsystems von Bakterien.
Natürlich handelt es sich bei der Schere nur um ein Bild, um den molekularbiologischen Prozess zu veranschaulichen, denn die Cas-Schere selbst ist ebenfalls eine Mutation. Aber das Bild ist auch sprechend, denn das „Ausschneiden“ verweist auf soziale Analogien wie die des „Eliminierens“ oder „Ausmerzens“, die gerade im deutschen Kontext belastet sind. Und die genchirurgische Prozedur zielt ausschließlich darauf ab, „Fehlerhaftes“ und „Unerwünschtes“ auszuschalten, zu verbessern oder zu optimieren. Und im „Schnitt“ ist immer auch schon der Ausschnitt des Erwünschten, im Wegschneiden das Unerwünschte mitgedacht. Metaphern sind verräterisch.
Wie aber steht es um die Qualität dieser Gen-Schere? Präzise, einfach, billig – und „demokratischer“, versprechen ihre Befürworter. Momentan setzen sie die molekulare Schere an Krankheiten an, die von einem Fehler an nur einem der beiden Gene (autosomal-dominante Erbleiden) herrühren. Und wieder einmal war es Shoukhrat Mitalipov von der Oreon Health & Science University in Portland, der sich mit dem Klonen von Affen und Embryonen einen fragwürdigen Namen gemacht hat, der den nächsten Tabubruch beging. Er befruchtete die Eizellen von gesunden Spenderinnen mit dem Sperma eines Mannes, der an hypertropher Kardiomyopathie, einer genetisch bedingten Herzkrankheit, leidet. Dann schnitt er die DNA der Embryonen mittels Gen-Schere auf und ersetzte den defekten Abschnitt mit dem gesunden Gen der Mutter. 42 von 58 Embryonen entwickelten sich ohne Krankheitsanlage, ihr Erbgut würde an die nächsten Generationen weitergegeben werden.
Doch ganz so präzise wie verlautbart ist diese Schnitttechnik dann offenbar doch nicht. Wenn die flinke Schere nämlich an der falschen Stelle ansetzt, hat das nicht absehbare Folgen, so eine Studie der Universität Columbia, die von „Hunderten von ungeplanten Mutationen“ am Genom von Mäusen berichtet. Aber selbst wenn die Schnittstelle richtig getroffen wird, kann es an anderen zu Veränderungen kommen, weil diese so ähnlich aussehen. Manchmal geht auch etwas schief beim Einführen der neuen Gen-Sequenz, wir kennen das alle beim Copy-and-Paste: Plötzlich ist der Textbaustein zweimal kopiert oder ein anderer. Das sei bislang nur bei Mäusen vorgekommen, versichern die CRISPR-Forscher. Bewahre, wenn das in einer klinischen Phase beim Menschen einträte!
Die klinischen Risiken und die unabsehbaren Folgen der CRISPR-Schnitte für die menschliche Keimbahn waren der Grund, weshalb führende internationale Genforscher im März 2015 unter dem Motto „Don’t edit the human germ line!“ (Keine Veränderung der menschlichen Keimbahn) ein freiwilliges Moratorium ausrufen wollten. Dem schlossen sich auch wissenschaftliche Akademien in Deutschland an. Doch kurz vor der Veröffentlichung des Aufrufs wurden chinesische Forschungen an Embryonen bekannt. Und plötzlich wollte niemand mehr etwas davon hören, der Wettlauf um Meriten und Patente ist in vollem Gange. Merck ist mittlerweile der führende Patenthalter in diesem Bereich.
Gefährliche Bakterien
Gleichzeitig ist das CRISPR-Verfahren so simpel, billig und demokratisch, dass in den USA Laien den Baukasten inzwischen online für 150 Dollar kaufen können. Ein Wissenschaftsjournalist hat in einem Selbstversuch für die Neue Zürcher Zeitung kürzlich die Probe aufs Exempel gemacht und versucht, mit dem Do-it-yourself-Kit, mit dem sich Pflanzen und Tiere manipulieren lassen, ein Bakterium so zu verändern, dass es resistent gegen Antibiotika wird. Er ging dafür in ein Labor, weil derartige Versuche in Deutschland nur unter Hochsicherheitsbedingungen durchgeführt werden dürfen. Die weltweit aktive Biohacker-Szene „crispert“ allerdings unkontrolliert in ihren Küchen und Garagen .
Die Folgen sind unabsehbar, etwa wenn genetisch veränderte Organismen in die Umwelt gelangen. Mit dem Werkzeug ließe sich nicht nur das mitgelieferte Darmbakterium, sondern auch das viel gefährlichere Typhus- oder Cholerabakterium modifizieren. Die entsprechenden Informationen für potenzielle Bioterroristen liegen frei verfügbar auf Genbanken. Deshalb darf der Schülerbaukasten aus den USA zumindest in Bayern nicht mehr eingeführt werden. Noch scheint das Ganze außerdem so einfach nicht zu sein – das Experiment des Journalisten scheiterte .
Einmal in der Welt, stellt sich die Frage nach dem Umgang mit der CRISPR-Technik. Und wie bei anderen Risikotechnologien beginnt auch hier ein bemerkenswerter Umdeutungsprozess. Die Akademie der Wissenschaften plädiert neuerdings dafür, bei der Risikobewertung von genveränderten Pflanzen nicht mehr das Verfahren, sondern die Eigenschaften des Produkts in den Mittelpunkt zu stellen. Sind Gene der gleichen Art im Spiel, seien die Pflanzen nicht als genverändert einzustufen.
Wird im Fall von manipulierten Pflanzen der „Hunger in der Welt“ in Anschlag gebracht, ist es im Fall von Menschen der Kampf gegen Krankheiten, der die hierzulande verbotene verbrauchende Embryonenforschung und die Veränderung an der Keimbahn legitimieren soll. In gewisser Weise, so das ehemalige Mitglied des Ethikrats Jochen Taupitz, lasse sich die CRISPR-Technik als „somatische Gentherapie ansehen“. Der Eingriff in die menschliche Keimbahn und die Verbesserung von Eigenschaften – etwa auch die Vermeidung von Behinderungen – sollten seiner Ansicht nach erlaubt werden, weil sie „einen Vorteil im menschlichen Miteinander“ brächten. Zweifellos denkt er dabei auch an den Vorteil für die öffentlichen Kassen, die für die Inklusion von Menschen mit Behinderung zuständig sind.
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