Berliner Abende Um ehrlich zu sein, bin ich auf die Einladung nur aufmerksam geworden, weil ich mit dem Moderator, der durch die Veranstaltung führen sollte, vor ...
Um ehrlich zu sein, bin ich auf die Einladung nur aufmerksam geworden, weil ich mit dem Moderator, der durch die Veranstaltung führen sollte, vor Jahren mal zu tun hatte. Damals standen wir nach einer langen Sitzung in der U-Bahn, und ich dachte, herrje, ist der Mann groß! Jedenfalls - weiß der Teufel warum und vielleicht nur, weil man einem Geistesarbeiter sowas einfach nicht zutraut - hätte ich ihn kaum in einem Ballsaal gesucht.
Also war es pure Neugier, dass ich mir unter den vielen Buchpräsentationen, die einen während der Saison so erreichen, gerade diese herauspickte. Die Einladung war verbunden mit dem Versprechen, dass das Erlebnis »süchtig« machen sollte. Das konnte sich die Leseratte zwar vorstellen, weniger allerdings der Sportmuffel
ortmuffel in mir, schon gar nicht, wenn es sich um Beinarbeit handelt (es sei denn im Wasser). Und Trockenübungen waren offenbar gefragt an diesem Abend.Das rauschende Ereignis findet dann in recht unwürdiger Umgebung statt, in einem berlintypischen dritten Hinterhof, an der alten Bezirksgrenze zwischen Kreuzberg und Tiergarten, ganz ohne metropolitanes Ambiente. Der enge Aufgang führt in eine klaustrophobisch stimmende Kleiderkammer, wo die zahlreich erschienenen Gäste in fliegendem Wechsel Straßenbotten gegen elegantes Schuhwerk vertauschen. Tanzschuh statt Lesebrille? Ich dachte, hier würde gelesen! Trample also mit den Dreckbotten übers gewienerte Parkett und sinke erst mal auf ein rotes Kanapee, das die Tanzfläche säumt.Worauf hab ich mich eingelassen! In meiner Jugend galt Tanzen, ich meine, TANZEN!, als so spießig, dass all die Sechzehnjährigen, die irgendwie auf sich hielten, in heftige Antizuckung verfielen, wenn sie das Wort »Tanzschule« nur hörten. Während die »Braven« der Klasse in der klebrigen Umarmung eines Pickelgesichts hingen und in der Pause krampfhaft aus einer Cola Konversation saugten, rockten wir im Uni-Keller unserer leiblichen Entgrenzung entgegen. Tanzen? Anders? Niemals!Also, ich bin ja nur neugierig, beruhige ich mich. Und was mein Moderator, den ich nur noch an der Größe wiedererkenne, da vorn so launig berichtet, kommt mir irgendwie bekannt vor: Die dämlichen Situationen, bei denen Frau »aufgefordert« wird und nach Ausreden sucht, ach, lieber nicht, ich hab mir den Fuß verknackst und, danke, mir ist heut nicht danach. Aber dann, erzählt er weiter, kam eines Tages eine Freundin, die ihn übers Parkett - ausgerechnet! - eines Literaturhauses schleifte, obwohl er von Tanzen keine Ahnung hatte. Am Ende wär´s gar nicht so schwer gewesen, und dann kam die Sucht. Die Freundin ist die anwesende Buchautorin. Aha.Irgendwann schlägt Tamara ihr reizend-ironisches Tanzbüchlein zu, und es wird Ernst. Schritt, Schritt, Tapp, Wolle, Notbremse, rück und von vorn!, kommandiert es - und der Saal wogt. Ich weiß nicht, woran es liegt, aber immer verheddere ich mich in der Wolle oder schlingre in die Notbremse. Neben den tanzbeschuhten Gazellen fühle ich mich wie ein Arbeitspferd. Wenn die graziös die Füßchen setzen, donnert bei mir der Huf runter. Stampf, stampf, plumps, Wolle ... nein, ich bin vollkommen von der Rolle!Aus, Schluss. Ich beschließe, mein Kanapee nicht mehr zu verlassen. Aus den Boxen tönt Moon River, langsamer Walzer tippe ich, das ist wohl für die Anfänger. Sieht ganz leicht aus. Immerhin gibt´s keinen Hetero-Zwang, und die Paare sind gemischt, xy, xx, nur yy kann ich nirgends sehen. Tanzen sei was für Frauen, hab ich mal gehört.Während die meisten Paare sich ganz wacker übers Parkett wälzen, schwitzen zwei Mädels in Fox-Verklammerung. Rück, rück, seit, schließ (so jedenfalls buchstabiert es Let´s dance) kommen sie über den vierten Takt nie raus, stolpern übereinander oder sich selbst. Ich schwitze mit ihnen. »Nicht aneinander festklammern!«, empfiehlt der Ratgeber und plaudert, dass Fox zu den »Tiertänzen« der Ragtime-Zeit gehört. Na bitte, da hätte ich mit meinem Huf vielleicht ja doch noch Chancen.»Sie schweben wie der Frühlingswind über die Tanzfläche«, kündigt der Moderator den Höhepunkt des Abends an, »voller Leichtigkeit und ohne Erinnerung an das Morgen ...« Morgen ist vielleicht Krieg, doch das gekürte Paar, das sich nun in den Dreivierteltakt schmiegt, ist umwerfend. Der Traum jeder rauschenden Ballnacht, auch wenn das Outfit ein bisschen prosaisch wirkt.Irgendwann sind die Lese- und Fresshäppchen verzehrt, der Wein schal und die Füße müde geworden. Ich kann nicht verleugnen, dass die anmutig-disziplinierte Bewegung gegenüber meiner Disco-Zappelei ein paar Punkte gemacht hat. Ob ich mich am nächsten Tag fühlen würde »wie ein Baby«, wie unser Moderator prophezeit? Oder eher energiegeladen, wie seine Partnerin? Am nächsten Tag ertappe ich mich beim Blick in die Auslagen auf der Suche nach Tanzschuhen. Darf auf dem schwelenden Vulkan getanzt werden?
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