Es gibt Menschen, von denen man nicht genau sagen kann, wann man sie zum ersten Mal bewusst wahrgenommen hat und wann man ihnen tatsächlich leibhaftig begegnet ist. Die Soziologin und Feministin Frigga Haug, einer der "Leuchttürme" des Frauenaufbruchs in den siebziger Jahren, ist für mich so ein Mensch: Wahrscheinlich war es ihre Kritik der Rollentheorie (1972), die von uns Studentinnen unter dem Tisch gehandelt wurde, um den hybriden Kritischen Theoretikern respektive Luhmannianern vorne am Pult etwas entgegenzusetzen.
Begegnet sind wir uns dann spätestens auf der Volksuni 1990, als die Fäden zwischen der Vorläuferin des Freitag, der Volkszeitung, noch dichter gewebt waren und Wolfgang Fritz Haug als Leitartikler aus Moskau über die Entwicklung der Perestrojka berichtete. Es war eine Zeit des ideologischen "Freischwimmens" und der gleichzeitigen Bewahrung von marxistischen Theoriebeständen, die zumindest der Kreis um die Zeitschrift Das Argument, in dessen Zentrum das Ehepaar Haug stand und steht, zu Recht nicht aufgeben wollte. Für eine, die es aus der autonomen Szene ins feministische Mekka Berlin (West und Ost) gespült hatte, war das fast schon zuviel, denn diese Tradition meinten wir doch "entlarvt" zu haben.
Anders Frigga Haug. Sie verkörpert von jeher so etwas wie eine versöhnende Brücke zwischen marxistischer und feministisch-autonomer Tradition, und sie fand darin keinen Widerspruch: Feminismus war für sie immer mehr als nur Gleichberechtigung, und linke Politik hat auch feministisch zu sein. Auf die aufgeregten Diskussionen der damaligen Zeit - Staatsknete und Frauenmarsch durch die Institutionen oder Lohn für Hausarbeit und grünes Müttermanifest - reagierten sie und ihre Mitstreiterinnen relativ kühl mit dem Hinweis auf Rosa Luxemburg: "Der Weg (der Frau, d. Red.) geht in die Welt, nicht ins Haus". Der Band Küche und Staat aus dem Jahre 1988 bündelt diese Diskussionen wie in einem Brennspiegel.
Rosa Luxemburg, über die Frigga Haug jüngst ein Buch geschrieben hat (Rosa Luxemburg und die Kunst der Politik), war und bleibt ihr eherner Bezugspunkt: Geschlechtsspezifische Zuschreibungen, auch freiwillig übernommene, sind Fesseln, die zu sprengen sind. Das gilt nicht nur für die Hausarbeit, sondern auch für das Kopftuch. Mit ihrer Unterschrift unter den provokativ verstandenen Aufruf "Frauenfeindliche Ausländer raus aus Deutschland" hat sie sich in der Szene, insbesondere unter Migrantinnen, nicht unbedingt Freundinnen gemacht. Von ihrem Standpunkt aus - kompromisslos säkular in einer aufgeklärt-westlichen Tradition - ist Haugs Haltung konsequent; auch wenn sie damit von Beckstein Co. vereinnahmbar ist.
Das Tragen des Kopftuchs fügt sich für die Professorin, die bis 2001 an der Hamburger Universität für Wirtschaft und Politik lehrte, in die weibliche "Mittäterschaft", in das Mittun am Patriarchat, das sie schon 1980 problematisierte. Zugeschrieben wird die Mittäterschaftsthese eigentlich Christina Thürmer-Rohr, ein ganz anders gearteter feministischer "Leuchtturm", und diese hat sie zweifelsfrei breit popularisiert. Auch das wäre eine noch zu schreibende Geschichte: Die Bedingungen, unter denen Akademikerinnen aus ihrem Milieu heraustraten und Strahlkraft entwickelten. Es war ein schmerzhafter Erfahrungsprozess, dass wir nicht nur als Frauen nicht gleich sind, sondern nicht einmal alle "gleichen" Frauen.
Frigga Haug war immer eine der stilleren Networkerinnen. Der Kreis um das Ehepaar, in dem viele Projekte bis hin zum bewundernswerten Opus Magnum, das Historisch-kritische Wörterbuch des Marxismus angeschoben wurden, gehört wohl zu den letzten linken akademischen communities. Ich hatte mit diesem Kreis nur ganz am Rande zu tun. Aber es ist schade, dass aus dem freundlichen Begrüßungslächeln, gemeinsamen Projekten nicht mehr geworden ist. Auch aus diesem Grund wünsche ich mir, dass uns Frigga Haug auch über ihren Geburtstag am 28. November hinaus als Streiterin für die Sache erhalten bleibt.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.