An Post- oder Long Covid zu erkranken ist schlimm. Und egal, welcher Gruppe man angehört, ob die Symptome früher oder später auftreten und wie lange: Für die Betroffenen ist die Diagnose belastend und unter Umständen schicksalsträchtig. Soweit sie überhaupt gestellt wird und nicht im Räderwerk des medizinischen Systems untergeht.
Frustrierend ist die Erkrankung auch, weil sie Menschen trifft, die den Beteuerungen glaubten, sie seien durch eine Impfung geschützt. Oder die die Corona-Infektion gut oder leidlich hinter sich gebracht hatten. Gar nicht zu reden von denen, die nicht einmal wussten, dass sie infiziert waren, und davon überrumpelt werden. In Deutschland sind geschätzt eine halbe Million Menschen betroffen. Das ist der Unterschi
Unterschied zum Grippe-Virus. Es kann potenziell tödliche Folgen haben – aber meist vergessen wir es bis zur nächsten Grippe-Saison wieder.Die Aufregung um die Spiegel-Autorin Margarete Stokowski, die ihre Long-Covid-Erkrankung publik gemacht hat und von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zum Gesicht seiner Impfkampagne erkoren wurde, spiegelt die Verunsicherung der Bevölkerung angesichts dieser neuartigen Krankheit. Abgesehen von den bösartigen Beleidigungen und der Häme der Corona-Leugner, deren Märchen von der Harmlosigkeit der Infektion spätestens durch Long Covid widerlegt ist, offenbaren die Reaktionen die Gemengelage widerstreitender Gefühle. Darin mischen sich der Wunsch, zur Normalität zurückzukehren und auch nichts mehr von Masken und Impfstoffen zu hören, schwelende Angst und das generelle Bedürfnis, Krankheit aus dem Alltag zu verdrängen. Long-Covid-Betroffene sind der sichtbare Beweis einer fortbestehenden, aber verleugneten Gefahr. Darüber hinaus zeigt sich, wie problematisch es ist, ein Einzelschicksal für allgemein gültig zu erklären in unserer ohnehin hochaffektiven Mediengesellschaft.Hoffnung auf Wirkstoff BC 007 gegen Long CovidErschwert wird der Umgang mit Long-Covid-Patient:innen auch, weil die mehr als 200 Krankheitssymptome diffus sind – von Erschöpfung, Muskelschwäche, Konzentrationsstörungen bis hin zu Sprachstörungen – und eher als Befindlichkeitsstörungen wahrgenommen werden. Die Betroffenen sind nicht mehr belastbar und neigen zu Rückzug, vergleichbar mit an Depressionen leidenden Menschen. Sie gelten als nicht widerstandsfähig, angreifbar und verschwinden nach und nach von der sozialen Bildfläche. Dazu kommt, dass die Ursachen von Long Covid unklar sind. Handelt es sich um eine Autoimmunreaktion des Körpers, sind Entzündungsherde oder Gerinnungsstörungen der Auslöser, oder treiben Virusreste ihr Unwesen? Letzteres könnte eine Erklärung dafür sein, dass die Symptome in Ausnahmefällen auch nach dem Impfen auftreten können. So ruht die Hoffnung nun auf dem Wirkstoff BC 007, der gerade von dem Start-up Berlin Cures entwickelt und vielleicht 2024 zugelassen wird.Viele von Long Covid Betroffene fühlen sich alleingelassen. Das betrifft nicht nur das mangelnde Verständnis ihrer Umgebung. Sie vermissen medizinische Unterstützung, ausreichend Corona-Ambulanzen und sozialrechtliche Absicherung. Denn wenn das Krankengeld endet, fühlt sich kein Träger mehr richtig zuständig für sie. Sie müssen in ihrer ohnehin schlechten Verfassung einen bürokratischen Hürdenlauf absolvieren, der ihre letzten finanziellen Reserven auffrisst. Es geht ihnen wie vielen „ausgesteuerten“ chronisch Kranken, die in eine ungewisse Zukunft blicken.Der Expertenrat hatte diesbezüglichen Handlungsbedarf schon im Sommer angemahnt. Die Krankenkassen, davon sind auch Patientenschützer überzeugt, werden das nicht stemmen können, hier sind Steuermittel gefragt. Doch Long-Covid-Patient:innen stellen auch in anderer Weise eine Herausforderung dar. Sie bilden eine unübersehbare Masse. Das unterscheidet sie von den vier Millionen Menschen, die in Deutschland an den von der Weltgesundheitsorganisation registrierten 5.000 bis 8.000 seltenen Erkrankungen leiden, mit wenig Lobby. Aber auch von den Einzelkämpfer:innen, die aufgrund von Krankheitsschüben regelmäßig „ausfallen“ und diesen Kreislauf durch von außen aufgenötigte und/oder von Selbstdruck gesteuerte Aufholjagden noch ankurbeln. Long-Covid-Patient:innen erinnern uns daran, dass Resilienz keine dem Individuum abzufordernde Eigenschaft ist, sondern eine gesellschaftlich auszubildende Tugend, eine Anpassungsleistung in die umgekehrte Richtung.Wie nötig das ist, belegen auch neuere Statistiken zur Lebenserwartung. Erstmals, so Meldungen im Sommer, ging sie 2021 europaweit, aber auch in der Bundesrepublik zurück. Heute geborene Mädchen werden durchschnittlich statt 83,6 nur noch 83,2 Jahre leben, Jungen statt 78,9 sogar nur noch 78,3 Jahre, wobei der Trend im Osten sehr viel deutlicher ist. Das hat, so zeigen Studien, weniger mit Corona zu tun als mit den immer schlechter gerüsteten Gesundheitssystemen. Verlieren wir die Long-Covid-Betroffenen also nicht aus dem Blick. Wer, wenn nicht sie, könnte einsichtig machen, dass ein nachhaltiger Umbau des Gesundheits- und Pflegesystems ansteht.