Lukas Meschik hat es mit dem Diskurs. Zivilisiert zu kommunizieren, bedeutet Anstrengung, weiß er, und lud deshalb in einem seiner letzten Bücher mit dem Untertitel Wie wir miteinander sprechen können dazu ein, es besser zu machen. Ihm geht es darum, diskursive Möglichkeitshorizonte auszumessen, die Empörung nicht als Sprit in den rhetorischen Kreislauf einzuspeisen, weil am Ende nur „Erniedrigung, Ermüdung, Ernüchterung“ herauskommt. Nichts Nachhaltiges also.
Meschiks neues Buch enthält eine Folgeeinladung. Und wir ahnen schon, es könnte anstrengend werden in diesem Roman, in dem es um die Würde der Empörten geht, so der Titel. Würde und Empörung, zwei Keywörter. Erinnert sei an das Pamphlet Empört euch!
s Pamphlet Empört euch!, das sogar mal konservative Gazetten aufgemischt hat. Das ist lange her, seither hat ein anderes politisches Lager die Deutungshoheit über die Empörungswut übernommen.Bei Meschik sind es der Ich-Erzähler, der in seinem Brotjob Programme für die betriebsinterne Arbeitszeitoptimierung schreibt, und Lester, ein gescheiterter Fotograf, der mit seiner Kamera regelmäßig die öffentlichen Manifestationen der Empörten verfolgt. Die beiden treffen sich zufällig auf einer Demonstration, kommen ins Gespräch, denn den Erzähler, der sich in seiner Einsamkeit eingerichtet hat, lechzt es nach Austausch: „Ich war süchtig nach Gesprächen, in denen die großen Fragen ausgehandelt wurden.“Erzählt aus einer vollendeten VergangenheitAm Rande stehend begleitet er während der Pandemie die als „Spaziergänge“ beschönigten Demonstrationen und konsumiert daneben alles, was die Medien hergeben. Er räsoniert einsam am Wohnzimmertisch, beginnt, seine Überlegungen in kurzen Blöcken aufzuschreiben. Er erzählt, wie sich Lester immer mehr auf die Empörten einlässt und abdriftet, wie er selbst als Beziehungsgestörter ins Auge des Orkans gerät und eine Polizistin trifft, in die er sich gegen seinen Willen verliebt.Was am Ende herauskommt, ist ein Buch, das aus einer schon vollendeten Vergangenheit erzählt wird, denn „der Vorteil des Erzählens besteht darin, nicht auf Prognosen angewiesen zu sein“. Das Geschehen folgt keiner stringenten Handlung, sondern mäandert zwischen „Anwürfen, Vermutungen und beschreibenden Szenen mit Lokalkolorit“, wie der sich auch selbst beobachtende Ich-Erzähler einräumt. Das Lokalkolorit liefert die Stadt Wien, doch die Geschichte könnte auch anderswo spielen, mit verunsicherten und aggressiver werdenden Corona-Eingesperrten, die aufstehen zu einem umstrittenen Protest. Handelt es sich um alarmierte Bürger:innen, denen es nur darum geht, den Rechtsstaat zu verteidigen? Oder um eine wütende amorphe Masse, die die Grenzüberschreitung um ihrer selbst sucht?Auch der Erzähler registriert beunruhigt den Verlust von Freiheitsrechten. Die kommunikative Balance gerät immer stärker aus dem Gleichgewicht. Wo auf der einen Seite Prototypen „toxischer Männlichkeiten“ wie Lester an ihren bis in den Verfolgungswahn reichenden Verschwörungen basteln, klinkt sich die Mehrheitsgesellschaft aus der Auseinandersetzung aus.Wenn das Erzählen entgleitetDas klingt nicht nur ziemlich thesenhaft, sondern ist es auch. Lester bleibt die Schablone des Protests. Auch der Ich-Erzähler, dem der Autor einige Eigenschaften zugesteht und am Ende sogar noch so etwas wie Nähe erlaubt, ist eine um sich selbst kreisende Räsoniermaschine, die sich als ewiger „Dreinredner“ an Lester abarbeitet – und das ist wohl auch so gewollt: „Ich bin mir im Klaren darüber“, schreibt er irgendwo ziemlich weit hinten, „wie sehr mir das Erzählen entglitten ist“, auch nimmt er alle Einwände vorweg bezüglich der „Uneinheitlichkeit des Tons“, die „den unterschiedlichen Erregungszuständen“ geschuldet sei. Zwischen die Ereignissequenzen der ohnehin lockeren Handlung drängen sich gesellschaftskritische Betrachtungen und Provokationen, aber auch absurde Sequenzen und Märchen. Am schönsten ist das vom Essiggurkenmann und seiner Gurkerin, das man einfach mit viel Spaß liest. Dass er das kann, hat der gerade erst 30-Jährige schon in früheren Romanen unter Beweis gestellt.Allerdings strapaziert Meschik die Romanform dabei arg. In der unausgeloteten Sprunghaftigkeit mag sich die mangelnde Diskursbalance spiegeln, um die sich der Autor sorgt, eine Einladung zum Lesen ist sie nicht unbedingt. Man stößt auf Anregendes und Witzig-Skurriles, aber nicht minder auch auf philosophisches Geblubber. Und auf eine grundlegende Ratlosigkeit dem Empörungsrausch gegenüber.„Die Gegenwart lässt sich am besten als Dystopie erzählen“, stellt der Autor als Motto seiner Geschichte voran, und irgendwie dystopisch ist auch der Plot, und ein bisschen tragisch, weil Lester um eine Bedeutung gebracht wird, nach der er sich sehnte. Aber auch das wird nicht entwickelt. Die Figuren stehen als Figurationen im diskursiven Raum einer Welt, in der des Wirklichen nur noch bedingt habhaft zu werden ist. Darauf muss man sich einlassen.Placeholder infobox-1