Markt statt Ethik

PID Was als Gesetzestext zur Präimplantationsdiagnostik nach langem Gezerre mit den Ländern nun im Bundesrat die letzte Hürde nimmt, ist ein typischer Politikkompromiss

Zehn Jahre wurde gestritten. Es gab diverse Gesetzesinitiativen und interfraktionelle Allianzen, dazu unzählige Statements: Wenn es um Präimplantationsdiagnostik (PID), also die gezielte Auswahl von Embryonen im Reagenzglas, ging, standen nie die 250 oder 400 Ausnahmefälle im Zentrum. Es ging um ein Symbol: Wer darf entscheiden, was lebenswert ist und was nicht.

2011 entschied der Bundestag, dass die PID prinzipiell verboten bleibt und nur in ganz begründeten Ausnahmen praktiziert werden darf. Daraufhin ließ sich Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) mit seiner Rechtsverordnung viel Zeit und wirbelte dann noch einmal reichlich Staub auf, weil er weder die Zahl der Zentren, die die Gentests am Embryo durchführen dürfen, noch die der Kommissionen, die darüber befinden, ob eine PID zulässig ist, begrenzen wollte. Mehrere Bundesländer intervenierten, Behinderten- und medizinische Fachverbände und der Deutsche Ethikrat forderten eine engere Auslegung des Gesetzes.

Was nach monatelangem Gezerre mit den Ländern nun im Bundesrat die letzte Hürde nimmt, ist ein typischer Politikkompromiss, der die Probleme eher verdeckt als löst. Zwar hat nun nicht mehr jedes Kinderwunschzentrum einen Rechtsanspruch darauf, die PID durchzuführen, doch im Prinzip bleibt es bei einer marktliberalen Regelung, um die PID in die allgemeine reproduktionsmedizinische Angebotspalette aufzunehmen. Die ökonomisch orientierten Zentren sind auch nicht geeignet, neutral zu beraten. Dass sich die Länder mit ihrer Forderung, jeweils nur eine Ethikkommission zu bestellen, nicht durchsetzen konnten, wird dazu führen, dass sich betroffene Paare gezielt an die liberalsten Gutachter wenden.

Der Gesetzgeber wollte mit der strikten Ausnahmeregelung verhindern, dass ein langsam sich ausweitender und diskriminierend wirkender Katalog von „schwerwiegenden“ Schädigungen und Krankheiten entsteht und einer „Vermeidungspraxis“ Vorschub leistet. In der Gesellschaft muss entschieden werden, wie wir mit Krankheit umgehen wollen, nicht im Labor. Doch der kühle Wind aus der medizinisch-technischen Kältekultur hat die Gemeinschaftszonen längst erreicht.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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