Was eigentlich fasziniert an der Traumhochzeit von Kate und William? Ist es nur der fahle feudale Abglanz? Bürgt das Paar für romantische Dauerhaftigkeit? Oder muss es die gerade nicht unter Beweis stellen, weil die von ihnen repräsentierte Ehe solider ist, weniger flüchtig, und einsteht für eine „dritte Sache“ – Dynastie und Zukunft der britischen Monarchie?
Die Aufklärung hat uns mit ihrem Vorschein der bürgerlichen Liebe eine schwere Last auferlegt: Wie lässt sich auf Dauer aufrechterhalten, was naturgemäß nur Anfang sein kann, und wie entwirft sich eine Liebesehe, die nicht mehr vorab dem Erhalt von Erbe oder Sippe dient, sondern ihren Zweck nur noch in der Gemeinschaft des Paares findet? „Die Kameradschaft wird Sinn aller Beziehung sein, und sie wird mehr gelten als die familiären Bindungen, mehr sogar als die erotischen“, erklärte Stefan Zweig 1929 in einer programmatischen Schrift über die Frau von Morgen, die weit weniger erzählt über die so genannte „Neue Frau“ als über die damalige Krise der Männlichkeit. Mit der Flut der zeitgenössischen Ehebücher markiert sie einen Höhepunkt in der über fünf Jahrzehnte nicht abreißenden Rede über Die intellektuelle Ehe (Hanser 2011), der die Stuttgarter Literaturwissenschaftlerin Hannelore Schlaffer eine anregende Studie gewidmet hat und deren wortgewaltige Kartierung Männern, wie sie schreibt, zwar „neue Horizonte und Freiräume“, Frauen jedoch „einen neuen Kontinent“ eröffnete.
Das Dauergespräch, dem sich 100 Jahre später in der Nachhut der 68er eine ganze Generation verschreiben und so ihre „Beziehungskisten“ zur gesellschaftlichen Zentralbaustelle erklären wird, hebt an um 1880 und hat, im Unterschied zur heutigen netzförmigen Suada, lokale Knotenpunkte: Heidelberg, Paris und Berlin. Die Sprecher und Sprecherinnen entstammen zwar meist der Intellektuellenschicht und treten als Professoren oder Literaten auf, doch bei der von ihnen verhandelten „intellektuellen Ehe“ geht es um eine Lebensform, um die frühen Experimente des Zusammenlebens zweier Menschen, die sich frei und ohne institutionelle Begründung füreinander entscheiden.
Vor der Libertinage
Dass es ausgerechnet dem „stahlharten“ Berufsmenschen Max Weber zufällt, eine Musterehe auf der Höhe der Zeit vorzuleben, ist zum einen auf seine Frau Marianne, die seinem Werk zwar dienen, aber eine ebenbürtige Rolle neben ihm spielen wollte, zurückzuführen, andererseits auch auf die in Heidelberg kultivierte liberale Salonkultur, in der die von Otto Gross eingespeiste Psychoanalyse ebenso Platz fand wie die Introspektion des Privaten durch die bürgerliche Frauenbewegung. Mit einem Unterschied: War die „Kameradschaftsehe“ der Webers mit asketischem Verzicht verbunden, erhob der ehemalige Freud-Mitarbeiter Gross Sexualität zum Therapeutikum schlechthin. Er fundierte eine theoretische Wahrhaftigkeit, die vor allem Männer aus der bürgerlichen Doppelmoral entlassen sollte: Der betrogene Teil hatte fortan das Recht auf Aufklärung. Vielleicht war das ein Anspruch, der zu früh kam, denn es ist Marianne Weber, die über die späte Affäre ihres Mannes mit Else Jaffé den Schleier der Diskretion legt.
Die Libertinage in Form der „extended family“ ist selbst in der aufgeklärten Heidelberger Gesellschaft (noch) nicht lebbar, sondern erst im Paris der vierziger Jahre, wo sich das Vorzeigepaar Sartre/Beauvoir im Spiegel Dritter (meist minderjähriger Schülerinnen der Lehrerin) entwirft. Trat Marianne Weber noch qua Heirat in den akademischen Kreis ein, besteht Simone de Beauvoir auf Autonomie und unbedingte Gleichheit und choreografiert sogar die zahlreichen „amours contingents“. Am Tabu, dass dieses aufwändig inszenierte, aber nur privat gelebte Experiment der Pariser Bohème Aspekte sexuellen Missbrauchs aufweist, rührt Schlaffer nicht; allerdings bilanziert sie den Preis, den Beauvoir für die aristokratische „Selbststeigerung“ des Paares zahlt: „Anfälle von Eifersucht“ und „intellektuelles Parasitentum“ in der Konkurrenz zu Sartre. In den abgekühlteren Zonen Berlins wird Bert Brecht dann vorführen, wie die in den „intellektuellen Ehen“ erzeugten Geistesfrüchte rücksichtslos auf die Mühlen seines Unternehmens umzuleiten sind. Wer als Agent der Geschichte auftritt und der „dritten Sache“ dient, braucht sich für diese Art der Enteignung offenbar noch nicht einmal zu schämen.
Die (intellektuelle) Balance herzustellen, wenn das erotische Feuer erlischt und das Projekt Ehe auf abgedimmte Sphären zurückgeworfen wird, gehört zu den größten Herausforderungen des frei assoziierten Paares. Davon handeln die Eheromane des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, davon erzählt die weibliche Selbsterfahrungsliteratur der siebziger Jahre, und das ist auch das Thema der vielen banalen Geschichten, die uns der Literaturboom vom Prenzlauer Berg und anderer hipper Mittelschichtsörtlichkeiten beschert. „Scheiternde Ehen sind gesprächig“, schreibt Schlaffer lakonisch, und der darin stattfindende Nahkampf ist allemal literaturtauglich. Kein Geschlechterschicksal mehr, sondern Erfahrung unter Korrekturvorbehalt, auf demokratisch verbreiterter Grundlage.
Im richtigen Moment
Einen weit von theoretischem Kalkül oder juveniler Erregung entfernten Entwurf eines solchen (scheiternden) Paares hat kürzlich Siri Hustvedt, in erklärt intellektueller Ehe mit dem Schriftsteller Paul Auster verbunden, vorgelegt. Im Unterschied zum philosophisch grundierten Pathos des 19. Jahrhunderts und zu den schamhaften literarischen Entblößungen des 20. ist dieser „Umschreibung“ lebenspraktische Demut eingeschrieben, und die Autorin macht ihre Leserschaft zum Komplizen des vorgestellten Experiments. In Ein Sommer ohne Männer (Rowohlt 2011) besichtigt Hustvedt mit ihren älter und klüger gewordenen Leserinnen („meist lesen Frauen Romane“) eine moderne Vorzeigeehe, in der die Partner die intellektuelle Symbiose und den darauf folgenden zerstörerischen Nahkampf bereits hinter sich haben.
Nach 30 Jahren „war es so weit gekommen, dass wir in unseren Köpfen gleichzeitig dachten, wenn wir bei einer Dinnerparty eine Geschichte oder Anekdote hörten; es ging nur darum, wer den Gedanken zuerst laut aussprechen würde.“ Weder Boris noch Mia wissen mehr, wo in dieser Ehe der eine aufhört und der andere anfängt, doch dann schiebt sich eine junge Französin mit einem „signifikanten Busen“ und einem „exzellenten Verstand“ als „Pause“ zwischen die beiden.
Nach einer „psychotischen Störung“ (mit Nahkampfqualität) zieht sich Mia von ihrem untreuen, womöglich in Anspielung an einen berühmten Patienten von Sigmund Freud „Rattenmann“ genannten Partner – ein soziobiologisch imprägnierter Verhaltensforscher, der sein banales Tun mittels des Wissens seiner philosophisch versierten, dichtenden Gattin aufpeppt – zurück in die kleine, ländliche Heimatstadt, wo ihre alte Mutter im Heim lebt.
In diesem zeitlichen „Nichts“, „in der Menopause, verlassen, abgetakelt und vergessen“, bleibt Mia nichts als die Beobachtung der beiden weiblichen Generationen, von denen sie umgeben ist. Auf der einen Seite die Mutter und ihre Freundinnen, die, ohne noch auf Berührungen zu hoffen, ihr Ende erwarten und die erotischen „Landmassen“ stickend erschließen, und auf der anderen die jungen Mädchen, die Mia schöngeistig fortbildet und die sich gegenseitig einüben in der würdelosen Kultur der weiblichen Rivalität. An ihrer Nachbarin Lola dagegen studiert Mia die Mühen der Ebene, die tagtägliche Überforderung, bei der aller Glanz verblasst.
Im Unterschied zu Schlaffers Gewährsfrauen hat Hustvedts Heldin den Vorteil, die in der Gegenwart erlebte empirische Realität mit der Geschichte in ihrem Kopf herauszufordern, in Form einer literarischen Verzögerung, die Gleichmut und mitreißende Ironie hervortreibt. „Wann hört ein Ding auf, es selbst zu sein und ein anderes zu werden“, fragt sich Mia, als ein Teil von ihr sich an die Vorstellung zu gewöhnen beginnt, „dass Boris für immer weg“ ist.
Zwar hört auch dann „der Kummer mit den Geschlechtern nie auf“, doch erst in den literarischen Maskierungen oder in den Rollenspielen, die Mia ihren mobbenden Mädchen aufzwingt, entscheidet sich, was aus einer Geschichte wird. „Die Komödie steht und fällt damit, dass man die Geschichte genau im richtigen Augenblick beendet.“ Eben deshalb sind so viele Eheromane aus dem 19. Jahrhundert so quälend: Den Paaren war es noch nicht vergönnt, sich im richtigen Augenblick zu trennen.
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