Nahles macht dicht

Unmenschlich Die Arbeits- und Sozialministerin will mit eingeschränkten Sozialleistungen den Zuzug aus osteuropäischen EU-Staaten drosseln
Ausgabe 18/2016
Geht es nach Nahles, sollen Flüchtlinge in entvölkerten Landstrichen aushelfen
Geht es nach Nahles, sollen Flüchtlinge in entvölkerten Landstrichen aushelfen

Bild Sean Gallup/Getty Images

Die Sicherung des Existenzminimums ist ein Menschenrecht. So urteilte das Bundesverfassungsgericht, und das höchste Bundessozialgericht bekräftigte diese Auffassung noch im Dezember 2015 mit einer Entscheidung, nach der EU-Ausländern Hartz IV oder Sozialhilfe zusteht, wenn sie ein halbes Jahr in Deutschland verbracht haben.

Die sozialdemokratische Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles will dieses Menschenrecht nun drastisch einschränken. Sie schließt alle EU-Bürger von Sozialleistungen aus, wenn diese sich nicht mindestens fünf Jahre „verfestigt“ in Deutschland aufgehalten haben und keine primären Ansprüche auf Arbeitslosengeld erworben haben.

Damit will sie den Zuzug insbesondere aus osteuropäischen EU-Staaten drosseln, in denen nur geringe Sozialleistungen bezahlt werden. EU-Bürgern, die hierzulande in Not geraten, soll lediglich noch ein vierwöchiges Übergangsgeld gewährt werden, inklusive einer Rückfahrkarte in ihr Heimatland. Betroffen davon sind 440.000 von vier Millionen in Deutschland lebenden EU-Ausländern.

Zufall, dass dieser Vorschlag pünktlich drei Tage vor dem Parteitag der AfD, auf dem sich die Rechtspopulisten ein Programm gaben, in die Welt gesetzt wurde? Was der AfD recht ist, soll der SPD billig sein, und sie glaubt sich der Unterstützung in der Bevölkerung sicher. Der geplante Gesetzesentwurf, ist wieder einmal ein Exempel, auf welche Weise es Rechten gelingt, die Regierungsparteien vor sich herzutreiben. Nahles behauptet, er ändere nichts am Status quo, sondern schließe nur eine Gesetzeslücke.

Das Vorhaben bedeutet aber auch, dass eine bestimmte Gruppe von hierzulande wenig gelittenen EU-Bürgern gegenüber Flüchtlingen in Nachteil gerät. Während die Ersteren volle Freizügigkeit genießen, wird bei Letzteren über eine „Wohnsitzauflage“ diskutiert. Flüchtlinge ja, aber kanalisiert in die brachliegenden Regionen und Gemeinden, die vermeintlich auf den Zufluss von Neubürgern angewiesen sind. Statt „faulen“ EU-Bürgern geschätzte 800 Millionen Euro Sozialhilfe hinterherzuwerfen, will man mittels der Flüchtlingskrise lieber entvölkerten Landstrichen aufhelfen. Das alles hat wenig mit Menschenrechten zu tun, aber viel mit volkswirtschaftlich insinuierter und gesteuerter Bevölkerungspolitik.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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