Namen gemacht

Porträts Zwei Dokumentarfilme suchen nach Oda Jaune und Abisag Tüllmann
Ausgabe 25/2016

Viel verbindet die beiden Frauen nicht. Die Fotografin, mit jüdischen Wurzeln 1935 in Hagen geboren, könnte die Großmutter der Jüngeren sein, der aus Bulgarien stammenden Malerin. Sie hätten auch nur eine kurze gemeinsame Wegstrecke gehabt, denn als die Ältere 1996 starb, war die Nachgeborene gerade knapp 13 Jahre alt. Immerhin verdanken beide ihre Künstlernamen Männern: Die Fotografin Abisag Tüllmann ihrem ehemaligen Lebensgefährten Paul Pörtner, der den hebräischen Vornamen passender fand als das urdeutsche Ursula Eva; Oda Jaune, mit bürgerlichem Namen eigentlich Michaela Danowska, ihrem Lehrer und späteren Mann Jörg Immendorff. Oda Jaune, der „gelbe Schatz“, den er, wie es Künstlerlegenden landläufig wollen, sozusagen ans Licht gebracht hatte.

Durchaus gesprächsbereit

So einfach ist es nicht, wie ein Filmporträt von Kamilla Pfeffer beweist. Denn Jaune, die mittlerweile in Paris lebende Malerin, die einer Künstlerfamilie entstammt, ist von bemerkenswerter Eigenständigkeit, was Pfeffer in Bedrängnis bringt. Wer ist Oda Jaune?, fragt der Titel, wer ist die Frau hinter diesen Bildern, die Menschen ohne Gesichter zeigen, Köpfe, die wie Zeigefinger in den Himmel ragen, Figuren, die sich mit Organen vermischen, krasse bildliche Mysterien, die provozieren und verstören?

„Eure Anwesenheit stört“, erklärt Jaune gleich zu Beginn mit leiser Stimme, als sich das Filmteam hinter ihr und der Staffelei aufgebaut hat. Sie versuche, mit viel Kraft bei sich und dem zu sein, was sie tue. „Der Weg vom Kopf in die Hand ist fragil“, sagt sie, und schlichte Fragen nach Inspirationsquellen und Vorbildern, wer verstünde das nicht, sind dabei so hinderlich wie die pure Präsenz der Filmleute.

Also darf Pfeffer nur noch ausnahmsweise im Atelier filmen. Aber auch diese kurzen Sequenzen vermitteln etwas von der unterirdischen Energie, der Bildfantasie und der Emotionalität, die sich den Weg auf die Leinwand bahnen. Oda Jaune erzählt Geschichten, Märchen manchmal. Da gibt es diesen aggressiven Affen, neben ihm ein Teil eines Organs und Kinder, die, völlig angstfrei, mit dem Tier spielen. Oder sie beginnt eine Frau zu malen, die geradezu hörbar einen Schmerzensschrei ausstößt. Oder ist es ein Gähnen? Am Ende des Films (und des Malprozesses) ist die Frau völlig verschwunden.

Was Pfeffer der durchaus gesprächsbereiten, intensiven, hochkonzentrierten Frau, die selbst wie ein Porträt wirkt, nicht entlocken kann, sucht sie etwa bei Schauspieler Lars Eidinger, der Jaunes Mut bewundert, explizit zu werden und sich vom Irrationalen angezogen fühlt, oder Regisseur Thomas Ostermeier, der angeblich nicht am Besitz der Kunst („der Markt hat alles versaut“) interessiert ist, sondern nur an Tropfen auf dem Bild: „Sperma, Tränen oder nur der Faltenwurf des Hochzeitsschleiers?“

Ehrlichkeit, sagt Oda Jaune, die sich von Picasso beeinflusst erklärt, sei die wichtigste Eigenschaft beim Malen. Und dann zählt sie doch noch eine Heerschar von Malern auf, die sie „liebt“, kaum eine Frau darunter. Liebe ist ein durchgängiges Thema ihrer Bilder – keine romantische aber, sondern immer nur die brüchige, versehrte, in eigenartigen Ausstülpungen, den furchteinflößenden Tod im Gepäck.

Zwei Generationen zurück und von den malerischen Pariser Hinterhöfen in die kühle Finanzmetropole Frankfurt katapultiert, sind es Frauen, die die Alltagsbezüge und den künstlerischen Zusammenhang herstellen. Die Filmemacherin Claudia von Alemann, Absolventin jener berühmten ersten Filmausbildungsstätte in Ulm, aus der einige Protagonisten des Neuen Deutschen Films hervorgegangen sind, hat mit Die Frau mit der Kamera nicht nur eine Hommage an eine der bekanntesten deutschen Fotografinnen der Nachkriegszeit gedreht, sondern vor allem die Verbeugung vor einer Freundin, die sie 1965 auf einer nicht weniger legendären Pressekonferenz der Filmhochschule Ulm kennengelernt hatte.

Ihr Film beginnt drei Tage nach dem Ableben von Abisag Tüllmann im September 1996 mit einem langsamen, ruhigen, tonlosen Kameragang durch deren Wohnung und Arbeitsräume, um das Thema der Spurensuche bildlich in Szene zu setzen. Im Hintergrund erzählt Alemann von Tüllmanns Herkunftsfamilie, den Erfahrungen des Kindes im Krieg mit einer Mutter, die damals als „Halbjüdin“ galt, lässt eine frühe Freundin von den Jahren an der Werkkunstschule Wuppertal berichten.

Wiedersehen mit gestern

Eigentlich wollte Abisag Tüllmann Innenarchitektin werden, doch dann lässt sie die Kamera nicht mehr los, sie beginnt mit ihr zu zaubern, sagt Weggefährtin Helma Schleif. Und jeder kennt ihre Fotografien, die seit den 60er Jahren in allen großen Magazinen erscheinen. Viele große Künstler standen vor Tüllmanns Linse, sie begleitete den Auschwitz-Prozess in Frankfurt, wird teilnehmende Beobachterin der 68er- und später der Frauenbewegung, sie dokumentiert den Häuserkampf im Frankfurter Westend, arbeitet als Theaterfotografin. Und immer wieder reist sie nach Afrika. Am eindrücklichsten sind Tüllmanns Aufnahmen von Alltagsszenen, dicht und tief, immer fokussiert auf den besonderen Augenblick.

Neben den mehr als 500 eingeblendeten Bildern hat die Filmemacherin Wegbegleiter und Kolleginnen befragt, die Fotografinnen Barbara Klemm etwa und Ellen Bailly oder den Designprofessor Josef Bar-Pereg, den mit Tüllmann die jüdische Herkunft verband. Es entsteht das Porträt einer leisen und perfektionistischen Frau, deren Arbeiten nicht weniger aufstören als die Bilder von Oda Jaune. Wenn ihre Fotografien die Leute zum Nachdenken brächten, sagt Tüllmann in einem Film von Carola Benninghoven, hätte sie schon viel erreicht.

Über die reine Künstlerinnenhommage hinaus, die die eigene Befangenheit nicht verhehlt, hat von Alemann auch ein fesselndes Zeitporträt geschaffen, indem sie die Fotografien mit eigenen Filmsequenzen oder solchen von Alexander Kluge, Ulrich Schamoni oder Helke Sander ins Gespräch bringt (unterlegt von der Musik des spanischen Komponisten José Luis de Delás) und damit die (Wieder-)Begegnung mit einer Zeit des Aufbruchs ermöglicht.

Info

Die Frau mit der Kamera: Abisag Tüllmann Claudia von Alemann D 2014, 92 Minuten

Wer ist Oda Jaune? Kamilla Pfeffer D 2016, 75 Minuten

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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