Nein zu sagen reicht nicht

Sexualstrafrecht Das Strafgesetzbuch ignoriert viele Vergewaltigungen, weil die Täter aus dem sozialen Nahraum der Opfer kommen und dort andere Maßstäbe gelten. Zeit, das zu ändern
Ausgabe 32/2014
Nein zu sagen reicht nicht

Illustration: der Freitag

Dominique Strauss-Kahn, Jörg Kachelmann und gerade aktuell wieder der Komiker Karl Dall: Prominente und Vergewaltigungsvorwürfe sind der Mix, aus dem der Boulevard Schlagzeilen schöpft. Einmal in die Verdachtszone gerückt, ist der Skandal perfekt. Und die mediale Skandalisierung scheint zu signalisieren, was Frauen seit Jahrzehnten ins Bewusstsein der Gesellschaft bringen wollen: Vergewaltigung ist kein Kavaliersdelikt.

Doch im Windschatten der prominenten Fälle verbirgt sich eine ganz andere Realität: Vergewaltigung wird, trotz Aufklärung und einer gewissen Verbesserung des Opferschutzes, immer weniger gerichtsrelevant. Das jedenfalls belegen alarmierende Zahlen, die das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen kürzlich vorgelegt hat. Während vor 20 Jahren noch jeder fünfte angezeigte Täter davon ausgehen musste, für einen sexuellen Gewaltakt verurteilt zu werden, waren es 2012 noch 8,4 Prozent, wobei die Spanne in den einzelnen Ländern zwischen 4,1 und 24,4 Prozent variiert.

Pech also für das Opfer, wenn es etwa in Bremen lebt, wo ein Mann kaum fürchten muss, von der Justiz belangt zu werden. Berücksichtigt man außerdem, dass ohnehin nicht einmal zehn Prozent aller betroffenen Frauen eine Vergewaltigung zur Anzeige bringen, kann Mann sich praktisch sicher fühlen und seine Gewaltfantasien ausleben, ungeachtet der Ächtung, der mancher Prominente ausgesetzt ist. Auf schätzungsweise 160.000 Vergewaltigungen, mutmaßt Terre des Femmes, kommen 1.000 Verurteilungen. Mit solchen Aussichten werden sich immer weniger Frauen zur Anzeige entschließen.

Ein Grund für die eklatante Spreizung der Verurteilungsquote liegt zum einen in der personellen Situation der Ermittlungsbehörden und der Gerichte: Hohe Arbeitsbelastung begünstigt die Einstellung des Verfahrens, oft erweist sich die Beweisaufnahme vor Gericht als ungenügend, wenn etwa keine gerichtsfesten Tonband- oder Videoprotokolle erstellt wurden. Benachteiligt sind meist die Frauen, die sich am wenigsten wehren können: alte Frauen, Behinderte, Immigrantinnen.

Dass der Sex unerwünscht ist, genügt für eine Verurteilung nicht

Das grundlegende Problem ist das geltende Recht. Denn nachdem immer mehr angezeigte Vergewaltigungen aus dem sozialen Nahraum der Opfer kommen – die Täter also Ehemänner, Freunde, Bekannte oder Kollegen sind –, müssen Opfer nicht nur nachweisen, dass der Sex nicht einvernehmlich, sondern, dass dabei auch Gewalt im Spiel war. Im § 177 des Strafgesetzbuchs ist von einer „gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben“ die Rede – nein zu sagen oder gestisch zu artikulieren, dass der Sex unerwünscht ist, genügt für eine Verurteilung nicht. Die beschuldigten Männer ziehen sich in der Regel darauf zurück, sie hätten angenommen, die Frau hätte „es“ doch gewollt. Das geht so weit, dass das Herunterreißen der Kleidung, so ein höchstrichterliches Urteil, nicht unter den Tatbestand des § 177 fällt.

Die Reform des Sexualstrafrechts, die das Ziel hat, den Opferschutz zu stärken, wäre eine Gelegenheit, auch die Lücken im § 177 zu schließen und den Schutz der Opfer vor Gericht zu verbessern. Nicht die angewandte Gewalt, sondern das fehlende Einverständnis, die deutlichen Zeichen von Ablehnung müssen das Signal für den Mann sein: Ab hier geht’s in den Knast.

Viel ist in den vergangenen Jahren von Selbstbestimmung die Rede gewesen, auch dort, wo nur der Konsumentenfreiheit die Bahn geebnet werden soll. Doch in einem Bereich, wo der Begriff am Platz ist, der sexuellen Selbstbestimmung, sind Frauen unzumutbaren Belastungen ausgesetzt, wenn sie zu ihrem Recht kommen wollen. Die Justizministerkonferenz der Länder könnte auf ihrer Herbsttagung dagegen ein Zeichen setzen.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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