Nieder mit dem Patentregime

Corona Die Impfkrise nahm mit föderalem Chaos ihren Anfang und mündet im Drama um Lizenzen. Das Virus lässt sich aber nur weltweit besiegen
Ausgabe 04/2021
Impfdosen von AstraZeneca in Großbritannien
Impfdosen von AstraZeneca in Großbritannien

Foto: Ian Forsyth/Getty Images

Zuerst Pfizer, jetzt Astrazeneca. Die Pharmaproduzenten lassen keine Gelegenheit aus, die EU-Kommission zu düpieren. Zuerst hatte der US-Konzern Pfizer „Lieferengpässe“ angekündigt, weil das Werk im belgischen Puurs umgebaut werden soll. Nun, wenige Tage vor der EU-Zulassung des in Oxford entwickelten Impfstoffs, teilte die Chefetage des britisch-schwedischen Unternehmens Astrazeneca mit, man werde die Liefermengen einschränken, weil es Probleme mit einer Lieferkette gebe. Empörung in allen politischen Lagern, weil die Ausfälle nur die für die EU vorgesehenen Impfstoffdosen betreffen.

Dieser vorläufige Höhepunkt im Wettlauf mit dem mutierenden Virus passt in ein Impfdrama, das mit zögerlichen EU-Bestellungen, verschlafener Vorbereitung und föderalem Chaos seinen Anfang nahm. Man muss Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gar nicht mehr vorrechnen, wie viel Impfstoff er hätte beschaffen sollen, wenn ohnehin intransparente Verträge von den Herstellern einfach in den Wind geschlagen werden. Ob die Impfstoffproduzenten die EU an der ausgestreckten Hand verhungern lassen, weil Länder wie die USA, Kanada und Israel mehr bezahlen, weil sich Produktionsausweitungen nicht lohnen oder globale Lieferketten reißen, ist letztlich egal. Die angekündigten Exportkontrollen jedenfalls, mit denen Spahn Astrazeneca nun droht, nützen den Menschen, die verzweifelt auf eine Impfung warten, vorerst wenig.

„The Great Reset“ lautete ein Motto des Davos-Dialogs, bei dem Angela Merkel diese Woche eingeräumt hat, dass es in Deutschland zu langsam gehe mit der Pandemie-Bekämpfung. „Großer Neustart“ – das wäre auch ein gutes Motto für den Umbau einer Wissensproduktion, die heute im privatwirtschaftlichen Patentsystem gefangen ist, das selbst in Notlagen eine bedarfsgerechte Arzneimittelversorgung verhindert. Mit überlebenswichtigem Impfstoff Profite machen zu wollen, ist obszön. Kurzfristig mag der Staat einspringen und Produktionsanreize für die Unternehmen schaffen, wie etwa der Ökonom Moritz Schularick vorschlägt. Aber der Pharmaindustrie Geld hinterherzuwerfen, ist keine Lösung. Höchste Zeit dagegen, dass sich Deutschland und die EU für faire Lizenzvergaben einsetzen. Die Pandemie kann nur weltweit besiegt werden.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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