Mangelnde Kreativität kann man den Kommunen nicht vorwerfen, seitdem die Deadline für den Kita-Ausbau drohend am Horizont steht: Von Gebäudeumwidmungen über Container-Bauten bis hin zur Pavillon-Lösung halten sie alles parat, um den Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für Ein- und Zweijährige ab dem 1. August erfüllen zu können. 39 Prozent in dieser Altersgruppe, so hat es die Politik vorgegeben, benötigen einen Platz. Bis zum Stichtag müssen die Städte und Gemeinden dafür rund 780.000 Plätze zur Verfügung stellen, sei es in öffentlichen Einrichtungen, bei Tagesmüttern oder in Betrieben.
Es sei geschafft, überraschte Familienministerin Kristina Schröder am vergangenen Donnerstag die Hauptstadtpresse, nachdem noch tags zuvor der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund ein Defizit von 80.000 bis 100.000 Plätzen prognostiziert hatten. Das Statistische Bundsamt zählte am 1. März 597.000 betreute Kleinkinder in Kitas oder bei Tagesmüttern, was hieße, dass sogar an die 200.000 Plätze fehlten.
Nur auf dem Papier
Das mag, wie die Ministerin versicherte, Gründe in der unterschiedlichen Art der Erfassung haben. Doch selbst wenn man Schröders Annahme beim Wort nimmt, muss auch die Ministerin einräumen, dass das Angebot sehr unterschiedlich verteilt ist: In den ostdeutschen Ländern, in Hamburg, Berlin und den ländlichen Gebieten können Eltern davon ausgehen, dass ihre Kleinkinder ausreichend versorgt werden. Im Westen – mit Ausnahme von Rheinland-Pfalz, wo der Rechtsanspruch bereits seit 2010 gilt – und insbesondere in den Ballungsgebieten sieht es weniger rosig aus. Weit abgeschlagen ist Nordrhein-Westfalen, wo gerade einmal für 30 Prozent der Kleinsten ein Betreungsangebot besteht. Außerdem, gibt der Präsident des Deutschen Städtetags Ulrich Maly zu bedenken, seien „bewilligte Plätze keine fertiggestellten Plätze“. Sie existieren erst mal nur auf dem Papier.
Aber auch in Ländern, die die Vorgaben rechnerisch erfüllen, gibt es Probleme: In Stuttgart etwa steht für 43 Prozent der Kinder ein Platz zur Verfügung, der Bedarf liegt bei 60 Prozent; ähnliche Defizite weist die Finanzmetropole Frankfurt aus, und selbst Dresden, eigentlich gut versorgt, braucht mehr Plätze, als die Stadt anbieten kann, weil dort 86 Prozent der Kleinsten betreut werden wollen. Und die kann man eben nicht so einfach nach Rostock oder Erfurt, wo es eher ein Überangebot gibt, verschieben, so wie es die Unternehmen mit den zur Flexibilität gezwungenen Arbeitskräften gewohnt sind.
Doch mit dem institutionellen Ausbau enden die Probleme der Kommunen nicht: Es gibt viel zu wenig Erzieher für die neu geschaffenen Plätze. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung schätzt, dass bis zu 40.000 Kita-Kräfte und 25.000 Tagesmütter fehlen. Deshalb drehen die Kommunen an der Qualitätsschraube, indem sie den Betreuungsschlüssel verändern. Jeder Erzieherin und jedem Erzieher werden einfach mehr Kinder zugeteilt – und damit weniger Aufmerksamkeitszeit für das einzelne Kind.
Damit verschärft sich ein besorgniserregender Trend, auf den die Bertelsmann-Stiftung kürzlich in einem Ländermonitor aufmerksam gemacht hat. Während es im Westen schlicht an genügend Krippenplätzen mangelt, so die Studie, hapert es in den in dieser Hinsicht gut aufgestellten ostdeutschen Ländern an der Qualität. Durchschnittlich betreut dort eine Vollzeitkraft sechs Kleinkinder – viel zu viele, wenn man von dem von der Stiftung empfohlenen Personalschlüssel von 3,1 ausgeht. Im Westen ist die Situation zwar entspannter, aber nur Bremen erfüllt diese Vorgabe tatsächlich. Verschärfend komme hinzu, dass viele Zweijährige heute bereits Gruppen für ältere Kinder besuchen, wo die Personalausstattung noch ungünstiger ist, weil sie sich an den Bedürfnissen von Dreijährigen orientiert: „Wir müssen aufpassen“, warnt Stiftungschef Jörg Dräger, „dass die Jüngsten nicht zu kurz kommen.“
Erzieher aufwerten
Zu kurz kommen aber nicht nur die Jüngsten, sondern auch diejenigen, die auf sie aufpassen. Wie das Betreuungsgeld, das ebenfalls am 1. August in Kraft tritt, und Eltern, die ihr Kind zu Hause lassen, mit 100 Euro „Aufwandsentschädigung“ abspeist, spiegelt auch das Einkommen der meist weiblichen Beschäftigten das geringe Ansehen, das Erziehungsarbeit in unserer Gesellschaft beigemessen wird.
Eine Erzieherausbildung an der Fachhochschule dauert in der Regel drei Jahre und wird pädagogisch und auch im Hinblick entsprechender Anforderungen immer anspruchsvoller. Doch als hausarbeitsnaher Frauenberuf werden Erzieherinnen, ähnlich wie Krankenschwestern, nicht nur erheblich schlechter bezahlt als Männer im Handwerk oder im IT-Bereich, sondern auch schlechter als etwa Sekretärinnen. Eine Berufsanfängerin verdient je nach Bundesland und Einrichtung zwischen 1.800 und 2.200 Euro brutto, die Aufstiegsmöglichkeiten sind beschränkt und damit auch das zu erreichende Einkommen. Viele Frauen arbeiten zudem nur in Teilzeit.
Kein Wunder also, dass schon ein Drittel der Fachschulabsolventen erst gar nicht in den Beruf einsteigt, sondern sich anderweitig orientiert. Wer es dennoch tut, aus Berufung oder Alternativlosigkeit, ist nach zehn, zwanzig Jahren, gerade weil sich die Arbeit immer mehr verdichtet, ausgepowert. Der Mangel an Nachwuchs-Kräften verschärft diese Situation, die auch aus der Pflege bekannt ist: Aus Angst, noch mehr schultern zu müssen, verlassen auch erfahrene Kollegen den Beruf.
Wie unterbewertet und unterbezahlt sich Beschäftigte im Erziehungsdienst fühlen, offenbart eine Umfrage unter Mitgliedern der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) aus dem Jahr 2012. 97 Prozent der Erzieher sind der Auffassung, dass ihre Tätigkeit besser entlohnt werden müsste. 93 Prozent plädieren dafür, dass es zumindest bei einem Arbeitgeberwechsel nicht zu Lohneinbußen kommen dürfe, wie es das öffentliche Tarifrecht vorsieht. Wer eine Stelle in einer anderen Kita antritt, fällt unter Umständen auf eine weit schlechtere Entgeltstufe zurück. Denn der TdöV regelt strikt die Eingruppierung, die auch von gemeinnützigen Trägern nicht unterlaufen werden darf, wenn sie ihre staatlichen Zuschüsse nicht gefährden wollen.
Eine paradoxe, in der Wirtschaft undenkbare Situation: Obwohl der Arbeitsmarkt für Erzieher leergefegt ist, steigt ihr Einkommen nicht merklich, selbst wenn sich die eine oder andere Kommune als „Ballungsraum“ etikettiert und Zulagen bezahlt oder billigen Wohnraum zur Verfügung stellt, um Erzieher anzuwerben. Es gibt allerdings auch die Tendenz wie in Hessen, den Bedarf mit ungelerntem Personal zu decken: „Ich habe Angst“, schreibt eine Kollegin in der erwähnten GEW-Befragung, „dass der Beruf der Erzieherin durch den Fachkräftemangel abgewertet wird.“
Es könnte aber auch umgekehrt laufen. Vielleicht wird der Erzieherberuf einmal in die Geschichte eingehen als einer, der dazu beigetragen hat, ein „weibliches“ Berufsimage um- und aufzuwerten, indem eine Mangelsituation ausgenutzt wird. Das hätte den Vorteil, dass er auch für Männer attraktiv wird. Immerhin vertraut die Gesellschaft den Erzieherinnen (und wenigen Erziehern) ihr höchstes Gut an. Den Nachwuchs.
Der Rechtsanspruch
Ab 1. August 2013 haben Eltern von ein- und zweijährigen Kindern Anspruch auf einen Krippenplatz für mindestens vier Stunden täglich an fünf Tagen pro Woche. Die Anmeldung sollte zwei bis drei Monate vor dem Stichtag erfolgt sein.
Sollten sie keinen Platz zugeteilt bekommen, können die Eltern Widerspruch einlegen. Die Regelungen sind länderspezifisch unterschiedlich, unter Umständen ist es sinnvoll, eine einstweilige Verfügung zu beantragen, um die Entscheidung zu beschleunigen. Dazu sollte man nachweisen können, dass man sich um einen Platz bemüht hat. Als zumutbar gilt eine Kita, die 30 Geh- oder Fahrminuten vom Wohnort entfernt ist.
Gibt es keinen Platz in einer öffentlichen Einrichtung, kann das Kind in einem Privatkindergarten untergebracht werden, übergangsweise auch bei den Großeltern. Die Mehrkosten müssen die Kommunen übernehmen. Für private Unterbringung wären das maximal 20 Euro/Stunde, ein Rechtsanspruch besteht bislang nicht. Unklar ist, ob Eltern eine Krippe ablehnen können, die sie für qualitativ ungeeignet halten. Das wird ebenso die Gerichte beschäftigen wie ein eventueller Verdienstausfall, wenn die Eltern die Kinder zu Hause betreuen müssen.
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