Wofür musste die unrühmliche Silvesternacht in Köln bisher nicht alles herhalten! Die Asylgesetzgebung wird verschärft, „auffällige“ Flüchtlinge können – ratz-fatz – ausgewiesen werden. Und der Flüchtlingsdiskurs entgleiste danach völlig. Andererseits brachte die Empörung über die Ereignisse das Kabinett auch in anderer Richtung auf Trab. Dort lag seit vergangenem Jahr ein Entwurf des Bundesjustizministeriums zur Verschärfung des Sexualstrafrechts auf Eis – ohne Köln wäre er wohl in der Sommersonne auch dahingeschmolzen.
Bislang wurden Sexualstraftaten nur verfolgt, wenn der Täter direkte Gewalt anwendete und sich die Betroffenen nachweisbar körperlich gegen die Übergriffe wehrten. Das soll sich ändern: Auch Tätlichkeiten unter Ausnutzung bestimmter Umstände, die dazu führen, dass sich das Opfer nicht wehren kann oder überrascht wird wie in Köln, sollen nun unter Strafe gestellt werden. Ein einfaches Nein genügt aber noch immer nicht. Nach wie vor gilt, dass sich Opfer sexualisierter Gewalt verteidigen müssen. Und nach wie vor wird das Verhalten der Opfer geprüft.
Die Opfer meiden oft auch den Gang zur Polizei, aus Angst vor Bloßstellung oder weil sie befürchten, dass ihnen ohnehin nicht geglaubt wird. Jede siebte Frau in Deutschland hat seit ihrem 16. Lebensjahr sexualisierte Gewalt erfahren. Nur fünf Prozent aller strafrechtlich relevanten Formen sexualisierter Gewalt werden aber überhaupt angezeigt, bei acht Prozent der aktenkundigen Fälle kommt es zu einer Verurteilung – mit sinkender Tendenz. Und je näher ein Täter dem Opfer steht, desto seltener muss er mit Strafe rechnen.
Handlungsbedarf ist also schon lange angesagt. Doch vielen Kritikern geht der Entwurf aus dem Bundesjustizministerium nicht weit genug. Denn was ist mit denen, die sich wie in Köln in Gruppen nicht unmittelbar an den Übergriffen beteiligen, sie aber dulden? Was mit den alltäglichen Grapschern, die mal so ganz „zufällig“ an eine weibliche Brust fassen? Was ist mit jenen Opfern, die etwa aufgrund eines geistigen Handicaps keine deutlichen Verweigerungssignale geben können?
Der Betroffenenrat beim Beauftragten für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs hält das gesamte Sexualstrafrecht für reformbedürftig und hat einen eindrücklichen Forderungskatalog aufgestellt, der von den Strafhöhen bis zur Verfahrensführung reicht. Maas’ Entwurf behauptet, „dringende Gesetzeslücken“ zu schließen. Um potenzielle Opfer zu schützen, braucht es aber mehr als Flickwerk.
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