Im Bücherschrank meiner Mutter habe ich kürzlich einen Band wiederentdeckt, mit dem meine kindliche Initiation in die Welt der Frauen begann und der den vielversprechenden Titel Schön sein, schön bleiben trug. Neben dem Schönheitsideal der fünfziger Jahre - "natürliche Anmut, Gesundheit und ein frauliches Wesen" - lernte ich damals, dass "Geschäftsfrauen dumm handeln, wenn sie ungezogen sind" und wie eine Nachkriegsfrau per Mastkur wieder zu Formen kommt. Im Kapitel "Gut ÂbehütetÂ" wurde das neugierige Kind darüber aufgeklärt, dass mondäner Hutfetischismus und "frauliches Wesen" gänzlich unvereinbar seien, und Damen mit Stupsnase lieber zum aufgekrempelten Glockenhut greifen sollten, während die in den Himmel Geschossenen mit einem flachen "Deckel" besser behütet seien. Meine Mutter schwärmte derweil für die schon seit 50 Jahren aus der Mode gekommenen Wagenräder von Prinzessin Viktoria und ignorierte damit konsequent die Faustregel des Hutkapitels: Nur nicht auffallen!
In den fünfziger Jahren standen Hüte noch auf der Modeordnung. Sie wurde hinweggefegt von den hochtoupierten Frisuren der sechziger Jahre, auf denen kein Hütchen halten wollte. Wer heutzutage Hut trägt, so die Erfahrung der Modistenmeisterin Veronika Banck, fällt auf, egal wie gewagt das Teil sein mag. Insofern war die Eröffnung ihres Hutateliers vor anderthalb Jahren im badischen Karlsruhe ein Wagnis. Die weibliche Hälfte der eher gemächlichen Gerichts- und Verwaltungsstadt folgt nicht gerade dem dernier cri aus Paris, und das zahlungskräftige Publikum residiert ohnehin 30 Kilometer entfernt im mondänen Baden-Baden. Groß ist Veronika Bancks Atelier, das ihr gleichzeitig als Werkstatt dient, nicht, doch in der sensationsarmen Karlsruher Weststadt wirkt ihre Auslage magnetisch. Während unseres Gesprächs an einem Samstagnachmittag bleiben fast sämtliche Flaneure an den Schaufenstern hängen, weisen entzückt mit dem Finger und kommentieren.
"Auf den Hut gekommen" ist die 38jährige, aus Ettlingen stammende Modistin durch ihre Mutter, die auch dann Hüte trug, wenn es gerade nicht modern war. "Außerdem hat mich Mode schon immer interessiert, früher habe ich mir meine Kleider selbst genäht und Hutgeschäfte haben mich von jeher angezogen. Damals habe ich entdeckt, dass die Ateliers der Modistinnen oft recht altmodisch sind, und so wollte ich etwas Neues aufziehen." Es hat dann allerdings noch eine Weile gedauert, bis Veronika Banck eine passende Ausbildungsstätte fand. In der gesamten Bundesrepublik bis nach Berlin habe sie sich die Ateliers angeschaut, bis sie schließlich in Waldürn - "ausgerechnet in Badisch-Sibirien!", wie sie lachend hinzusetzt - fündig geworden sei. Vom Atelier Richard Langs, einer der wenigen männlichen Repräsentanten der Innung, sei sie sofort begeistert gewesen, "sein Mut und die Liebe zu Hüten haben mir imponiert".
Als die gelernte Buchhändlerin 1995 ihre zweite Ausbildung begann, war sie eine von 84 Auszubildenden, die in den damals noch 746 zünftigen Betrieben in den alten Bundesländern in die Hutkunst eingeweiht wurden; heute hat sich der Bestand auf 364 Betriebe halbiert, dazu kommen mittlerweile ungefähr 40 Unternehmen in den neuen Bundesländern. Auch die Zahl der Auszubildenden ging drastisch zurück: Fanden 1981 noch 235 meist weibliche Lehrlinge den Weg zum Hut, so sind die Ausbildungsplätze im Jahre 1998 - offenbar auch aufgrund der geringen Ausbildungsangebote - auf 74 geschrumpft.
Ein aussterbender Beruf also? Ganz so pessimistisch, wie die Zahlen es andeuten, schätzt Veronika Banck die Situation nicht ein. Sie sieht durchaus Zukunftschancen für ihre Branche, und die Modisten-Innung Baden-Württemberg, die zehn aktive Mitglieder zählt, ist nach ihrer Einschätzung recht rührig. Einen gewissen Zweckoptimismus muss sich die Existenzgründerin wohl auch erhalten, denn sonst hätte sie nach ihrer 1998 abgelegten Meisterinnenprüfung - eine von fünf in ganz Deutschland - kaum den Mut gefunden, sich selbständig zu machen. "Selbständig", erzählt sie, "wollte ich immer werden. Als Gesellin verdient man viel zu wenig, um davon existieren zu können." Auch dies, meint sie, könnte ein Grund für das zurückgehende Interesse der Jugendlichen an diesem Handwerk sein.
Im Unterschied zu Hutmachern, die Herrenhüte herstellen, und Putzmacherinnen, die die bereits vorgeformten, fertigen Hüte nur "aufputzen", lernen die Modistinnen während der dreijährigen Ausbildung vom Entwurf über die Herstellung der Hutform bis zum Garnieren alles, was zum Modistenhandwerk gehört. In der Regel beginnt die praktische Hutmacherei damit, dass eine bereits vorgefertigte Hutstumpe angefeuchtet und über eine Holzform in Form gezogen wird. Durch Ziehen, Dämpfen, Bügeln und Appretieren erhält der Hut seine endgültige Form - eine, wie an den kräftigen Oberarmen von Veronika Banck abzulesen ist, kraftintensive Arbeit. Die fertige Form wird dann genäht oder geklebt und mit Bändern, Blumen, Schleiern oder ähnlichen Accessoires "aufgepept".
Dabei ist natürlich Hut nicht gleich Hut. Werkstoffkenntnis ist eine der wesentlichen Voraussetzungen, denn ein Filzhut unterscheidet sind grundlegend von einem Strohhut wie dem klassischen Florentiner- oder Panama-Hut. Neben Filz und Stroh liefern auch bestimmte Stoffe das Grundmaterial, wie die reizende, an die zwanziger Jahre erinnernde Organza-Kappe aus der Banckschen Auslage. Die ist, erklärt ihre Schöpferin, jedoch genaugenommen gar kein richtiger Hut, sondern eben eine Kappe, ein, wie sie versichert, fundamentaler Unterschied.
Bis ins 16. Jahrhundert gehörten in Deutschland solche Kappen oder - für die Frauen - Hauben zum festen Bestandteil der Kleidungsausstattung nichtadeliger Schichten. An einer Haube ließen sich nicht nur Stand und Religionszugehörigkeit erkennen, sondern auch der Familienstand: Für verheiratete Frauen war in weiten Teilen des Landes die Haube ein Muss, wovon heute noch die sexistisch anmutende Redewendung ein Mädchen unter die Haube zu bringen erzählt.
Hüte trug man allerdings bereits in der Antike, doch da waren sie den freien Bürgern vorbehalten, oder - wie im alten Rom - gar Vorrecht der Götter, Helden und Könige. In der römischen Ära galt der Hut als Zeichen der Freiheit: Den Sklaven wurde er als Symbol ihrer Freilassung überreicht. Im christlischen Abendland setzte sich die Hutmode erst mit der burgundischen Mode im 14. Jahrhundert durch: Die Burgfräulein kleideten sich damals mit diesen kolossal unpraktischen spitzen Zuckerhüten - den sogenannten Hennins - die mit stolperträchtigen langen Schleiern umwunden waren. Die Sitte unter Männern, sich durch das Abnehmen des Hutes zu begrüßen, wurde erst im 18. Jahrhundert Allgemeingut.
Die modische Wiederentdeckung des Hutes hat, neben dem Modeaspekt, auch noch eine ganz praktische Seite: "Der Hut", erklärt Veronika Banck, "schützt im Winter vor Kälte und im Sommer vor der stechenden Sonne. Kundinnen erzählen mir, dass sie Hüte tragen, um sich vor Kopfschmerzen zu bewahren." Außerdem bedient der Hut auch den "inneren Schweinehund". "Eine Bauunternehmerin, die bei mir Hüte arbeiten lässt, ist viel unterwegs und hat keine Lust, sich jeden Tag die Haare zu waschen. Also greift sie zum Hut, um proper auszusehen." Wer Hut trägt, das weiß die Hutmacherin aus eigener Erfahrung zu berichten, werde anders wahrgenommen. Ein Hut wirke respektgebietend, insbesondere bei Amtspersonen. Wahrscheinlich ist es Polizisten deshalb bis heute untersagt, auch bei höllischer Hitze ihre Mütze abzunehmen.
Schutz bietet der Hut jedoch auch dem, der gerade mal "nicht so gut drauf" ist. Ähnlich wie bei einer Brille kann man sich nämlich unter einem Hut verstecken. Der tief ins Gesicht gezogene Hut, den der Bänkelsänger Brecht so variationsreich zu besingen wusste, signalisierte in den zwanziger Jahren beispielsweise Undurchdringlichkeit, er war das typische Zeichen des poker-face-man. Die Damen ihrerseits zogen den sogenannten Topfhut als Zeichen von Autonomie tief herunter und hielten sich so aggressive Männlichkeit vom Leib.
An diesen Topfhüten findet die Karlsruher Modistin bis heute großen Gefallen, manche ihrer Modelle erinnern an den Modetrend der zwanziger und dreißiger Jahre. Es sind fast immer Unikate, die ihren Laden verlassen, Modellhüte, im Unterschied zur Konfektion, die sie nur ausnahmsweise und für Herren anbietet. Die Kunst besteht darin, für ein relativ breites Publikum Modelle anzubieten, die außergewöhnlich sind, und trotzdem - im Unterschied zu Designerhüten - tragbar bleiben. Oft ist es nur die eigenwillige Form, manchmal die Kombination ganz verschiedener Materialien, die - wie Filz und Latex - auf den ersten Blick nicht zusammenpassen, die einen durchschnittlichen Hut in eine kleine Attraktion verwandeln. Mit dem "Strohlockenhut" zum Beispiel darf frau sicher sein, auf der Konsumrennbahn der "Fächerstadt" Karlsruhe aus dem Moderahmen zu fallen.
Die Ideen borgt sich Veronika Banck von überallher, aus Museen, von Messebesuchen und natürlich auch aus Modezeitschriften, obwohl die Haute Couture, wie sie bedauert, wenig Vorlagen liefert. Angewiesen bleibt sie vor allem auf die eigene Phantasie und Inspiration - und auf ein grundsolides handwerkliches Können. Gutes Material und saubere Verarbeitung gehören für die Modistin zu den Voraussetzungen, um einen "guten" Hut herzustellen.
Auf Latex als Verarbeitungsmaterial kam sie übrigens durch den Auftrag einer "Domina", die einen Hut für eine Fotoreportage bestellte. So exotisch ist ihre Kundschaft in der Regel nicht. Es sind meist Frauen, die beruflich viel unterwegs sind oder die etwas vorstellen wollen, wie jene Kundin, die zum Pferderennen nach Ascott fahren wollte. Eine solche Kundin wird dann natürlich kaum begeistert sein, wenn die Freundin von nebenan mit einem ähnlichen Modell aufwartet. Im Moment, glaubt Veronika Banck, sei ihr Laden in Karlsruhe noch so etwas wie ein Geheimtip. Einerseits sind es immer wieder Kundinnen, die ihr neue Auftraggeberinnen vermitteln, es gebe allerdings auch solche, die ihre "Hutquelle" eifersüchtig hüteten.
Die "persönliche Empfehlung" ist momentan die wichtigste Reklame für die junge Unternehmerin, die sich zum Ziel gesteckt hat, dass ihre Hüte bezahlbar bleiben. "Damit wird die Handelsspanne natürlich eng, denn die Herstellung eines guten Hutes kostet Zeit und teures Material. Für den Arbeitslohn bleibt da wenig übrig." Mehr als einen "Ein-Frau-Betrieb" wirft der Laden momentan noch nicht ab, wenngleich die Meisterin daran denkt, einen Ausbildungsplatz einzurichten. Die Hutmacherei ist zudem noch ein Geschäft, wo sich saisonale Konjunkturen und Flauten abwechseln. Zwei Kollektionen stellt die Modistin jedes Jahr vor: "Vor Weihnachten ist Hochsaison. Und dann kommt ein, zwei Monate gar nichts."
Das Geschäftsprinzip der Existenzgründerin besteht in der individuellen Beratung. Wer die Schwellenangst erst einmal überwunden hat, fühlt sich bei Veronika Banck gut aufgehoben, denn sie nimmt sich viel Zeit, um die Wünsche ihrer Kundinnen herauszufinden und sie mit der Wirklichkeit "abzugleichen". Manchmal, sagt sie, sei es schwierig, eine Frau von einer bestimmten Vorstellung abzubringen. "Ein breitkrempiger Hut auf dem Kopf einer kleinen Frau mit schmalem Gesicht, ist einfach unmöglich, auch wenn der Hut noch so toll aussieht. Die richtige Hutwahl hängt vom Typus ab." Das wusste übrigens schon mein Moderatgeber aus den fünfziger Jahren und unterstrich diese Feststellung mit kreischend komischen Zeichnungen.
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