Sozialer Pflichtdienst: Gut gemeint, aber nicht gut gedacht

Engagement Die Idee eines sozialen Pflichtjahrs von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird niemandem gerecht: Nicht den jungen Menschen, aber auch nicht den Branchen, um die es geht
Ausgabe 24/2022
Hin und wieder meldet sich der Bundespräsident mit Vorschlägen fürs Land zu Wort. So soll es sein – aber gut kommt das nicht immer an
Hin und wieder meldet sich der Bundespräsident mit Vorschlägen fürs Land zu Wort. So soll es sein – aber gut kommt das nicht immer an

Foto: Bernd Elmenthaler/IMAGO

Gemeinsinn stärken. Den Horizont erweitern. Soziale Kompetenz ausbauen: Es gibt viele Argumente, um das zu verteidigen, was Bundespräsident Frank Walter Steinmeier mit der „sozialen Pflichtzeit“ in die Debatte geworfen hat und wabert, seitdem uns Bundeskanzler Olaf Scholz auf eine „Zeitenwende“ einschwört. Was soll so schlecht daran sein, wenn junge Leute eine Zeit lang – und es muss ja nicht ein ganzes Jahr sein, wie Steinmeier versichert – ein bisschen von dem an die Gesellschaft zurückgeben, was diese ihnen mit einer guten Ausbildung ermöglicht? Als gesellschaftlichen Kitt?

Es gibt tatsächlich viele junge Menschen, die gerne freiwillig Dienst tun würden im sozialen, ökologischen oder kulturellen Bereich, im bildungsorientierten Bundesfreiwilligendienst oder als Volunteer im Ausland. Die Nachfrage ist erheblich größer als das Angebot, sodass jährlich Bewerber:innen abgewiesen werden müssen. Denn für diese Dienste gilt, dass die Freiwilligen gezielt angeleitet und begleitet werden, und das kostet Geld.

Staatlich verordnetes Engagement ist schwierig

Der Akzent liegt dabei aber auf freiwillig. Wenn der Staat Engagement verordnet, wird es schwierig. Denn unter Zwang ein Gefühl für die Gemeinschaft zu entwickeln, ist irgendwie widersinnig. Da liegt der Verdacht nahe, dass die Verpflichteten dort Löcher stopfen sollen, wo eine verfehlte Politik sie gerissen hat, in der Pflege zum Beispiel oder bei den Rettungsdiensten. Aber gerade die Pflege-Azubis kämpfen derzeit um bessere Arbeitsbedingungen, die sie veranlassen, später in diesem Beruf zu bleiben.

Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass Bundespräsident Steinmeier viel kühler Wind ins Gesicht bläst, angefangen bei den Betroffenen selbst, die sich vom Staat nicht in ihre Lebensplanung eingreifen lassen wollen. Auch die Vertreter der Wohlfahrtsverbände und Pflegeberufsverbände äußern sich skeptisch bis ablehnend, nicht zuletzt weil sie fürchten, dass die sozialen Berufe durch einen Pflichteinsatz abgewertet würden.

Und warum eigentlich keine politische Pflichtzeit? Damit junge Menschen lernen, für ihre Rechte einzutreten und mehr Bewegung ins Land zu bringen? Da legte der Staat bisher eher Steine in den Weg durch ein restriktives Gemeinnützigkeitsrecht oder gar Kriminalisierung.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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