Postgender? Damit sind die Piraten von gestern

Frauensache Was haben die Piraten mit Männerrechtlern gemein? So einiges, sagt unsere Kolumnistin. Wer das Geschlecht ignorieren will, leugnet damit auch bestehende Diskriminierung

Da dachte man, die Politik sei endlich angekommen: Gender Mainstreaming allenthalben, seitdem selbst die bayerischen Stier­nacken eingesehen haben, dass ohne Frauen nichts mehr geht. Aber was Hans am Ende noch gelernt hat, ist für Hänschen überhaupt nicht selbstverständlich. Gewisse Jungmänner gefallen sich neuerdings darin, betont unkorrekt zu agieren.

Sei es, dass sie wie die Piraten nach ihrem Sensationssieg das ganze Geschlechterdrama für beendet erklären und selbstbewusst (fast) ohne Frauen auf Kaperfahrt gehen; sei es, dass sie den Frauen ganz offen den Krieg ansagen, indem sie männerrechtlerische Positionen gegen eine als be­drohlich empfundene Frauendominanz setzen. Dass es sich bei Letzteren, wie ­in der gerade erschienenen Studie Die antifeministische Männerrechts­bewegung von Hinrich Rosenbrock nachzulesen ist, nur um eine kleine versprengte Minderheit handelt, mindert nicht ihre aggressive Durchschlagskraft, die sie gegen die angebliche "Feminisierung der europäischen Kultur" und die "Kriegsführung gegen den europäischen Mann" ins­besondere im Internet entfalten.

Kritik läuft ins Leere

Der Vergleich zwischen Piraten und Männerrechtlern mag zunächst provokant erscheinen. Denn wer sich bereits in der Postgender-Community wähnt und alle Widersprüche zwischen den Geschlechtern im gleichmacherischen Netz aufgehoben sieht, muss kein martialisches Kriegsgeschrei mehr erheben und offen gegen Frauen mobilmachen. Angesichts solcher achsel­zuckenden Gelassenheit bleiben die erbosten Kommentare meiner geschätzten Kolleginnen, die darauf verweisen, dass Lohnungleichheit, gläserne Decke und die ewige Kinderfrage nach wie vor der Erledigung harren, einfach stumpf oder schliddern sogar in die biolo­gistische Sackgasse, wenn sie, wie vor einiger Zeit in der Süddeutschen Zeitung, Frauen raten, mittels ihrer besonderen "weiblichen" Kommunikations- und Vernetzungs­fähigkeiten die Bastion der Nerds, den digitalen Kosmos, zu entern.

Immerhin fordert der offen proklamierte "transparente" Postfeminismus heraus. Die Piraten wollen die fuß­lahmen Altparteien (einschließlich der Grünen) nicht nur auf der Netzautobahn überholen, sondern überbieten sie auch in der ewig rumorenden Be­ziehungskiste. Wenn dort nichts mehr rappelt, muss nichts befriedet werden. Geschlechterdebatten empfinde sie als "zopfig", behauptet Piratin Marina Weisband, die selbst schon mit Timoschenko-Zopfkranz auftrat.

"Affektive Abwehr"

Wer aber seine Zeit hinter sich zu lassen meint, kommt ganz unversehens in der Vergangenheit an. Denn mit den Männerrechtlern teilen die Piraten so manches. Zwar sehen sie sich nicht unbedingt als Opfer einer angeblichen "Femokratie", aber wie die Antifeministen werden sie nicht müde, Gender als soziale Kategorie und damit die faktische Diskriminierung zu leugnen. Die "affektive Abwehr" feministischer Belange und Forderungen, die Rosen­brock als Kennzeichen der Männerrechtler ausmacht, scheint den Piraten nicht fremd zu sein. Haben auch die Piraten, Inbegriff selbstgewisser Männlichkeit, vor Frauen in ihren eigenen Reihen einfach nur Angst? Halten sie sie deshalb "unter Deck"?

Im nerdischen Netzuntergrund, aus dem sie sich rekrutieren, bestimmt bekanntlich der User die Distanz, und das andere Geschlecht kann man sich auch durch einen Identitätswechsel vom Leibe halten. In der politischen Realität ist Berührung aber unvermeidbar. Wollen die Piraten nicht an den ein­samen Ufern militanter Männerrechtler stranden, werden sie ihr Schifflein irgendwann in den Gender-Mainstream steuern müssen.

Die wöchentliche Kolumne "Frauensache/Männersache" im Alltagsressort widmet sich Genderthemen und wird abwechselnd von weiblichen und männlichen Autoren geschrieben. Zuletzt schrieb Axel Brüggemann über Frauen bekannter Ex-Politiker, die nun selbst in die Politik drängen.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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