Prämierte Köpfe

Gesundheitspauschale Die Union hat den Kanzler-Berater Bert Rürup an Bord genommen und die Gerechtigkeit abmustern lassen

Ein gepflegter Mythos im politischen Alltagsgeschäft handelt davon, dass das, was die Regierung tut, zwar gut sei, aber ihre Projekte nicht richtig kommuniziere. Selbst in der Bevölkerung ist man der Meinung, "gute" Politik erschöpfe sich in einem Vermittlungsakt - das behaupten jedenfalls Umfragen. Dass die taktischen Vewirrspiele selbst professionelle Vermittler wie unsereins in die Irre führen und es nicht gerade erleichtern, den Streit um Kopfprämien oder Bürgerversicherung, die Auslegung von "Bedarfsgemeinschaft", Zuzahlungs- oder Zuverdienstregelungen transparent zu machen, steht dahin. Andererseits lässt sich allwöchentlich bei Christiansen besichtigen, dass die Schaumschlägerei Methode hat. Wer offene Worte spricht und es wie Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband "perfide" findet, dass die Leute in allen Lebenslagen künftig ihre Bedürftigkeit zu belegen haben, wird oberlehrerhaft (in diesem Fall von der selbst ernannten Parallelmoderatorin Gesine Schwan) zur diskursiven Ordnung gerufen.

Dabei hat der Mann vollkommen Recht. Sein einfacher Satz erklärt den grundsätzlichen Unterschied zwischen einem Bürgerversicherungs-Konzept und der Kopfprämie: Der liegt nämlich nicht in mehr oder weniger Bürokratie, wie uns die verschiedenen Kommentatoren weis machen wollen, sondern darin, dass in einem Fall die Bürger entsprechend ihres gesamten Einkommens zur Gesundheitskasse gebeten werden, im anderen Fall aber beweisen müssen, dass sie bedürftig sind und deshalb auf eine Ausgleichszahlung angewiesen. Der Unions-Streit um das von Bert Rürup und Eberhard Wille vorgelegte Kopfpauschale-Modell entzündete sich daran, wie ein sozialer Ausgleich zu finanzieren sei und ob er innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) oder extern - also über das Steuersystem - realisiert wird.

Ein Gerechtigkeitsproblem sehen die Adepten der Kopfprämie, die in der Schweiz erfunden wurde, nicht. Jeder zahlt den gleichen Obolus von rund 170 Euro. Der Beitrag für Kinder (75 Euro) wird über den Staat finanziert und zwar über den nun an die Versicherten ausbezahlten und zu versteuernden Arbeitgeberanteil. Grundsätzlich soll die Beitragsbemessungsgrenze abgeschafft und nicht mehr nach Einkommensarten unterschieden werden. Das hätte zwar keine Auswirkungen auf die Höhe der Prämie - im Unterschied zur Bürgerversicherung -, würde aber den potenziellen Versichertenkreis der GKV ausweiten. Ob die Privaten Krankenversicherungen (PKV) darüber glücklich sein werden, ist vermutlich ein Problem der FDP. Der vorsichtige Vorstoß der Ökonomen, die PKV in die Rolle des Zusatzversicherers zu verabschieden, wurde jedenfalls schnell wieder zurückgenommen.

Wer nun zu wenig Einkommen bezieht, um die Kopfpauschale zu finanzieren, soll einen Zuschuss erhalten. Doch woher nehmen bei leeren Kassen? Plan A sieht vor, auf Lohn- und Einkommenssteuer einen Gesundheitsaufschlag auf den Solidaritätszuschlag (11,9 Prozent) zu erheben. Solidarzuschläge stehen in der Republik in einem schlechten Ruf und schmecken dem Schutzmann des gehobenen Steuervolks, Friedrich Merz, ohnehin nicht; er will das Ganze lieber über die Mehrwertsteuer (zwei bis drei Prozent zusätzlich) finanzieren.

Die CSU, die mittlerweile auch auf die Kopfprämie eingeschwenkt ist, wiederum hält gar nichts davon, soziales Sicherungssystem und Steuersystem zu vermischen, plädiert für eine Staffelung der Betragshöhe und den sozialen Ausgleich innerhalb der GKV. In diesem Fall würde - je nach versicherungspflichtigem Einkommen - ein zusätzlicher Aufschlag von einem bis drei Prozent fällig. Diese Alternative würde den "Soli" zumindest der Willkür künftiger Finanzminister entziehen.

Wer bis hierhin noch nicht ausgestiegen ist - die Autorin verantwortet die diversen Planspiele nicht -, mag folgende Überlegung anstellen: Man kann es ungerecht und auch antiquiert finden, dass nicht-erwerbstätige Frauen, ob sie nun Kinder erziehen oder nicht, automatisch bei ihrem Mann mit versichert sind, während dies für eheähnliche Gemeinschaften jedweder Provenienz scheinbar selbstverständlich ausgeschlossen ist. Man kann es auch für sinnvoll halten, dass die Gesundheitsversorgung für Kinder als Gemeinschaftsaufgabe vom Staat finanziert wird. Nicht völlig von der Hand zu weisen ist der mit der Bürgerversicherung verbundene Bürokratieaufwand bei der Erhebung der Bemessungsdaten. Doch das, was Rürup und Wille der Union vorschlagen, hat mit Gerechtigkeit wenig zu tun: Die Gesundheitskosten für Kinder tragen weiterhin nur die gesetzlich Versicherten (durch das Steueraufkommen aus dem Arbeitgeberanteil); die mittleren Einkommen und vor allem Familien werden überproportional belastet, einmal über die doppelte Kopfprämie für die Eltern, zum anderen über wie auch immer realisierte "Aufschläge", Mehrwertsteuer-Erhöhung und ähnliches. Konsumpolitisch ist das Ganze ohnehin Unfug. Völlig unklar ist auch, was mit der bisherigen Zuzahlungspflicht von zwei Prozent passieren soll, ob die sozusagen noch mal obenauf gepackt werden. Wer wirklich gut verdient, profitiert von diesem System, und ausklinken werden sich alle, die weiterhin nicht der gesetzlichen Versicherungspflicht unterliegen.

Es ginge um die Entkopplung von Gesundheits- und Arbeitskosten, lassen die Befürworter der Kopfprämie stereotyp wissen, und gelegentlich entflieht ihnen in den versicherungstechnischen Vexierspielen auch einmal ein ungewöhnlich klares Wort: "Die paritätische Finanzierung der GKV", offenbarte Eberhard Wille kürzlich in einem Interview, sei "längst nur noch eine Fiktion." So deutlich ist aus dieser Richtung selten verlautet, wer den Hauptgewinn hat.


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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