Das Schreckgespenst der Risikogesellschaft

Frauensache Viele Frauen fingen mit dem Rauchen an, weil sie es Männern gleichtun wollten - die Konsequenz ist, dass sie zunehmend an Lungenkrebs sterben
Ausgabe 23/2013
Das Schreckgespenst der Risikogesellschaft

Illustration: Otto

Emanzipation hat ihren Preis. Zumal dann, wenn die neue Freiheit mit dem Glimmstengel als Signal aufwartet. Unvergessen die Zeiten, als man sich nächtens in Raucherhöhlen herumtrieb, sich auf elend langen Sitzungen einräuchern ließ und ein lässig ausgehauchtes Rauchwölkchen den Balztanz einleitete.

Nun, sagen Statistiker, wird den Frauen die Quittung serviert dafür, dass sie seit den Sechzigern den Männern hinterherhecheln und sich dabei auch männliche Suchtgewohnheiten zu eigen machen. Immer mehr Frauen sterben an Lungenkrebs. Die Steigerungsrate lag zwischen 1981 und 2011 bei 186 Prozent, wobei auch heute immer noch mehr Männer erkranken als Frauen. Bleibt es bei diesem Trend, wird Lungenkrebs 2015 die häufigste Krebstodesursache von Frauen in Europa sein.

Dabei gab die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in den vergangenen Jahren immer wieder eine gewisse Entwarnung: Jugendliche – und insbesondere junge Frauen – rauchen signifikant weniger als früher. Doch starten junge Erwachsene erst einmal in den Beruf, greifen sie eher nach der Zigarette – sei es, weil die Rauchergemeinschaft vor der Türe immer noch als ultimative Informationsbörse in der Bürowelt gilt; oder sei es schlicht, um mit der Zigarettenpause Stress abzubauen.

Anti-Raucher-Kampagnen der Nazis

Zumindest in Deutschland hat die bis in die Sechziger anhaltende Tabakabstinenz von Frauen allerdings eine fatale Vorgeschichte: Es waren nämlich die Nazis, die die ersten umfassenden Anti-Raucherkampagnen starteten. Diese standen unter dem Motto „Reine Luft“. Die Sorge um den „erbgesunden“ Nachwuchs beförderte damals das erste umfassende Krebspräventionsprogramm, propagiert übrigens von denselben Wissenschaftlern, die sich gleichzeitig für das Euthanasie-Programm stark machten.

Was auf die Schattenseiten der „Onkophobie“ genannten gesellschaftlichen Angst vor dem Krebs verweist. Krebs ist das Schreckgespenst einer Risikogesellschaft geworden, die glaubt, durch Vorsorge- und Vermeidungsstrategien allen Wechselfällen des Lebens zu entkommen.

„Verkrebsung“ hat die Medizinhistorikerin Barbara Duden das einmal genannt. Sie meinte damit nicht den Umgang mit der konkreten Krankheit, sondern mit dem Schrecken davor. Und das war in einer Zeit, als die prophylaktische Brustentfernung noch nicht den Coffee-Table-Talk bestimmte.

Da die vorsorgliche Entfernung der Lungen bislang medizinisch (noch) nicht induziert ist, bleibt hier nur die Tabakabstinenz, forciert durch mehr oder minder militante Präventionsprogramme, die sich vorab immer an die Risikogruppe „Frau“ wenden. Das andauernde Starren auf die immer lauernde Krebsgefahr wirkt jedoch lähmend.

Denn nur zur Erinnerung: Die Frauenbewegung ist einmal angetreten mit der Absicht, sich den Körper zurückzuerobern. Momentan lassen sie ihn sich wieder nehmen.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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